Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
verschlossenen Türen und brach im nächsten Moment in ein Kichern und Gelächter aus, das sich ebenso schnell in gequältem Schluchzen verlor.
    Peter trat, Francis im Schlepptau, vor und packte die Klinke der großen Stahltür. In einer einzigen entschlossenen Bewegung riss er sie auf und hielt inne.
    »Heilige Maria, Mutter Gottes!«, brach es aus ihm heraus.
    Peter schnappte nach Luft, bevor er den zweiten Teil des Gebets murmelte: »Bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes …« Von einem Moment auf den anderen fest im Griff seiner katholischen Erziehung, wollte er schon die Hand heben, um sich zu bekreuzigen, hielt aber mitten in der Bewegung inne.
    Francis reckte sich an ihm vorbei, fühlte, wie ihm sämtliche Luft aus der Brust entwich, und zuckte heftig zusammen. Er trat zur Seite, da ihm plötzlich schwindelig geworden war. Er hatte das Gefühl, dass ihm alles Blut aus dem Herzen gesackt war und er jeden Moment ohnmächtig werden könnte.
    »Bleib zurück, C-Bird«, flüsterte Peter. Wahrscheinlich hatte er es nicht so gemeint, doch die Worte schwebten im Raum wie Federn, die eine Böe erfasste.
    Big Black und Little Black bremsten ihren Lauf unmittelbar hinter zwei Patienten und starrten reglos hinauf. Nach einer Sekunde sagte Little Black leise: »Gottverdammt, gottverdammt …«, sonst nichts. Big Black wandte den Kopf zur Wand.
    Francis zwang sich, nach vorn zu sehen.
    An einer Schlinge, die aus einem schmuddelig grauen Bettlaken gedreht und an das Eisengeländer der Treppe zum zweiten Stock gebunden war, hing Cleo.
    Ihr pausbäckiges Gesicht war unförmig aufgebläht und im Tode fratzenhaft entstellt. Die Schlinge, die ihren Hals einschnürte wie der Knoten das untere Ende eines Luftballons legte ihre Haut in Falten. Ihr Haar hing ihr wild und wirr um die Schulter, und ihre ausdruckslosen Augen starrten geradeaus. Ihr leicht geöffneter Mund stand ein wenig schief, so dass ihr Gesicht vom Schock kündete. Sie trug ein schlichtes, graues Nachthemd, das ihre Hängeschultern wie ein Sack einhüllte, und eine grellrosa Sandale war ihr vom Fuß auf den Boden gefallen. Ihre Zehennägel waren rot lackiert, wie Francis sah.
    Er glaubte, keine Luft mehr zu bekommen, und er wollte das Gesicht abwenden, doch das Inbild des Todes vor ihm schlug ihn zwanghaft in seinen Bann, und so blieb er wie angewurzelt stehen und starrte auf die Gestalt, die im Treppenhaus hing. Er ertappte sich bei dem Versuch, Cleo mit ihrem unablässigen Schwall von Obszönitäten und ihrer vernichtenden, vitalen Überlegenheit an der Tischtennisplatte mit dieser klotzigen, grotesken Gestalt vor ihm in Zusammenhang zu bringen. Im Treppenhaus herrschte ein schummriges Zwielicht, als reichten die nackten Glühbirnen, die jedes Stockwerk beleuchteten, nicht aus, die Dunkelheit zurückzuhalten, die sich hierher vortastete. Es herrschte eine abgestandene, muffige Hitze wie in einer selten betretenen Dachbodenkammer.
    Noch einmal ließ er den Blick über die Tote schweifen, bis er an einer Besonderheit hängen blieb.
    »Peter«, flüsterte Francis gedehnt, »sieh dir ihre Hand an.«
    Peter sah von ihrem Gesicht zu ihrer Hand, und einen Moment lang brachte er kein Wort heraus. Schließlich sagte er: »Hol mich der Teufel.«
    Cleos rechter Daumen war abgeschnitten. An der Außenseite ihres Nachthemds zeichnete sich ein karmesinroter Streifen ab, der weiter ihr nacktes Bein hinunterführte. Unter ihrem Körper hatte sich auf dem Boden ein dunkler Fleck gebildet. Francis starrte auf die Blutlache und musste würgen.
    »Verdammt«, sagte Peter.
    Der abgetrennte Daumen lag etwa einen halben Meter von der Mitte des kleinen dunklen, dickflüssigen Flecks entfernt wie ein nachträglich weggeworfener, überflüssiger Gegenstand.
    Francis kam ein Gedanke, und er suchte den Tatort nach einer einzigen Sache ab. Hastig ließ er den Blick über die Szene schweifen, sah jedoch nicht, wonach er suchte. Er wollte etwas sagen, hielt aber den Mund. Auch Peter blieb stumm.
    Little Black war der Erste, der wieder Worte fand. »Das wird ’ne Menge Ärger geben«, sagte er finster.
     
    Francis hatte sich ein Stück entfernt an die Wand gesetzt und wartete, während sich vor seinen Augen eine Menge Dinge abspielten. Ihn überkam der seltsame Wunsch, das alles sei nichts weiter als eine Halluzination oder vielleicht ein Traum, aus dem er jeden Moment erwachen würde, um den Tag wie jeden anderen gewöhnlichen Tag im Western State Hospital noch einmal

Weitere Kostenlose Bücher