Die Anstalt
von vorn zu beginnen.
Big Black hatte Peter, Francis und seinen Bruder im Treppenhaus zurückgelassen, wo sie immer noch zu Cleos Leiche hochstarrten, um selbst zur Pflegestation zurückzueilen und den Sicherheitsdienst, das Chefarztbüro und schließlich Mr. Evil unter der Privatnummer anzurufen. In der Zeit nach den Telefonaten war Peter langsam um Cleos Leiche herumgegangen und hatte sich bemüht, alle Einzelheiten zu taxieren und sich genauestens ins Gedächtnis einzubrennen. Francis bewunderte den Eifer und den professionellen Sachverstand von Fireman, doch insgeheim bezweifelte er auch, ob er den Tod vor seinen Augen je wieder aus seiner Erinnerung würde bannen können. Dennoch taten Francis und Peter dasselbe wie zuvor bei ihrer Entdeckung von Short Blonds Leiche: Ihren Augen entging nicht das kleinste Detail des Leichenfundorts, sie maßen ab, fotografierten die Szene, so wie es die Spurensuche normalerweise tat, nur dass keiner von ihnen ein Maßband oder eine Kamera hatte, so dass sie sich auf die Aufnahmen verlassen mussten, die sie sich einprägten.
Im Flur versuchten Big Black und Little Black, Ruhe herzustellen, wo es keine Ruhe geben konnte. Die Patienten waren verstört, sie weinten, lachten, kicherten oder schluchzten, während andere so taten, als wäre nichts gewesen, und wieder andere in den Ecken kauerten. Irgendwo spielte ein Radio Top-40-Hits aus den Sechzigern, und Francis konnte die unverkennbaren Klänge von »In the Midnight Hour« und dann »Don’t Walk Away, Renee« hören. Mit der Musik in den Ohren und den Klängen von Gesang und Gitarrenbegleitung wirkte die ganze Situation noch wahnwitziger und chaotischer, als sie ohnehin schon war. Irgendwann hörte er, wie ein Patient mit lauter Stimme verlangte, dass augenblicklich das Frühstück serviert würde, während eine Patientin fragte, ob sie nach draußen gehen und Blumen für Cleos Grab pflücken dürften.
Der Sicherheitsdienst war rasch an Ort und Stelle, schon bald gefolgt von Gulp-a-pill und Mr. Evil. Beide Männer kamen im Eilschritt angelaufen, der ein bisschen so wirkte, als hätten sie die Kontrolle verloren. Mr. Evil schob ein paar Patienten beiseite, während Gulptilil einfach nur durch den Flur herbeigerauscht kam, ohne sich im Geringsten um die flehentlichen Bitten der nervösen Amherst-Bewohner zu scheren.
»Wo ist sie?«, herrschte er Big Black an.
In der Tür lungerten drei Männer vom Sicherheitsdienst in grauem Diensthemd herum, die darauf warteten, dass ihnen jemand sagte, was sie tun sollten, und dem Chefarzt die Sicht verstellten. Keiner der Quasi-Polizisten hatte seit seiner Ankunft irgendetwas anderes getan, als zu Cleos Leiche hinaufzustarren, und nun traten sie beiseite, um Gulptilil und Evans ins schummrige Treppenhaus durchzulassen.
Der Chefarzt trat vor und rang nach Luft. »Du liebe Güte!«, sagte er staunend. »Oje, das ist ja furchtbar.« Er schüttelte immer wieder den Kopf.
Evans reckte sich an ihm vorbei und nahm die Szene ebenfalls in Augenschein. Seine Reaktion beschränkte sich, zumindest am Anfang, auf ein kurzes: »Verdammt!«
Die beiden leitenden Angestellten sahen sich den Fundort genauer an. Francis merkte, dass sie den abgetrennten Daumen ebenso registrierten wie die am Treppengeländer befestigte Schlinge. Doch ihm kam der seltsame Gedanke, dass die beiden Männer etwas anderes sahen als er. Natürlich sahen auch sie die tote Cleo dort hängen. Doch sie reagierten anders. Es war ein wenig so, wie wenn man in einem Museum vor einem berühmten Kunstwerk steht und der Betrachter neben einem zur entgegengesetzten Einschätzung wie man selbst kommt, so dass er sich kaum ein Lachen verkneifen kann oder stöhnt statt zu lächeln.
»Was für ein Jammer«, sagte Gulptilil ruhig. Dann wandte er sich an Mr. Evans. »Gab es irgendwelche Anzeichen …«, fing er an, ohne den Satz zu Ende zu führen, der sich für den Leiter des Amherst-Gebäudes von selbst verstand.
Evans nickte bereits. »Ich habe gestern eine entsprechende Anmerkung über ihre verschlechterte seelische Verfassung im Dienstbuch gemacht. Im Lauf der letzten Woche hat sie immer weiter dekompensiert. Ich hab Ihnen letzte Woche eine Mitteilung über eine Reihe Patienten geschickt, die medizinisch neu beurteilt werden müssten, und sie stand auf der Liste gleich oben. Vielleicht hätte ich die Sache ein wenig energischer betreiben müssen, aber sie schien mir nicht in einer derart akuten Krise zu sein, die das gerechtfertigt
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