Die Anstalt
alles gleich – leere Hände, ein Messer, eine Pistole. War Peter eben noch durch Lucys Waffe im Vorteil gewesen, so hatte sich jetzt in mehr als einer Hinsicht das Blatt zugunsten des Mannes gewendet, der lautlos in diesem Keller auf sie wartete. Francis setzte alles daran, die Panik, die ihn zu überwältigen drohte, zu überwinden und einen klaren Gedanken zu fassen. Er überlegte:
Ich habe so viel Zeit in meinem Leben im Dunkeln verbracht, dass ich eigentlich ganz gut darin aufgehoben bin
.
Dasselbe, war ihm klar, galt auch für den Engel.
Dann überlegte er:
Was hast du gesehen, bevor es dunkel wurde?
Er rekonstruierte, was er in den wenigen Sekunden vor Augen gehabt hatte, und kam zu folgendem Schluss: Der Engel hatte gespürt, dass ihm jemand folgte, oder er hatte seine Verfolger sogar gehört. Daraufhin hatte er beschlossen, nicht zu fliehen, sondern in einem Versteck auf sie zu warten. Er hatte die Lichter nur so lange angelassen, bis er gesehen hatte, wer ihn jagte, und dann hatte er für Dunkelheit gesorgt.
Francis versuchte mit aller Macht, sich den Raum vorzustellen. Der Engel würde den Weg nutzen, den er selber freigeräumt und schon mehr als einmal gekommen und gegangen war. Er brauchte folglich kein Licht, solange er sich nur nahe genug herantasten konnte, um sie zur Strecke zu bringen. Francis sah den Keller in Gedanken vor sich. Er versuchte, sich genau zu erinnern, wo er stand. Er reckte sich vor, horchte in die Stille und hörte seinen eigenen Atem so laut wie einen Trommelwirbel; er glaubte, dass er alle anderen Geräusche übertönte.
Auch Peter wusste, dass ihnen jeden Moment ein Angriff bevorstand. Mit jeder Faser wollte er etwas unternehmen, manövrieren, gewappnet sein, die Gelegenheit nutzen. Doch er konnte nicht. Zuerst glaubte er, die Dunkelheit sei für alle von Nachteil, doch dann begriff er, dass er sich irrte. Sie würde ihn nur verwundbarer machen.
Auch wusste er, dass der Engel ein Messer besaß und sich nur näher heranzuschleichen brauchte. In dieser Situation erwies sich die Schusswaffe in seiner Hand als weitaus weniger hilfreich, als er angenommen hatte.
Er drehte sich nach rechts und links. Die Panik, die ihn innerlich beschlich und sich mit der Spannung vermischte, nahm ihm mit Sicherheit genauso die Sicht wie die pechschwarze Nacht, die ihn umfing. Vernünftige Menschen können, vor vernünftige Probleme gestellt, einen Weg finden, der zu vernünftigen Lösungen führt, das wusste er, doch ihre Lage war jenseits aller Vernunft. Sie konnten weder vor noch zurück. Sie konnten sich ebenso wenig weiterbewegen wie angewurzelt stehen bleiben.
Francis glaubte, dass die Nacht Geräusche verstärkte, doch dann begriff er plötzlich, dass die Dunkelheit sie verwischte und verzerrte. Er schärfte sich ein, dass er jetzt nur noch mit den Ohren sehen konnte, und in diesem Moment schloss er tatsächlich die Augen und neigte den Kopf ein wenig in beide Rihtungen. Er konzentrierte sich und versuchte, an Firemans Gestalt vorbei auszuloten, wo sich der Engel befand.
Rechts von ihnen gab es, nur wenige Schritte entfernt, einen dumpfen Schlag.
Sie hörten ihn beide und drehten sich in diese Richtung. Peter hob die Waffe, merkte, wie die ganze Anspannung in seinem Körper sich im Druck seines Fingers am Abzug entlud, und feuerte einmal in die Richtung.
Der Schuss war ohrenbetäubend. Der Blitz des Mündungsfeuers wirkte wie ein Elektroschock. Die Kugel pfiff durch die Luft und prallte irgendwo in dem Raum wirkungslos ab.
Francis hatte Schießpulver in der Nase, als ob der Widerhall des Schusses den Geruch mitgebracht hätte. Er hörte Peters schweren, erregten Atem und dass er leise fluchte. Und dann kam ihm ein einziger schrecklicher Gedanke: Peter hatte soeben preisgegeben, wo sie waren.
Doch bevor er etwas sagen oder in die andere Richtung spähen konnte, hörte er ein leises, fremdartiges Geräusch fast neben sich, fast zu seinen Füßen, und als Nächstes begriff er, dass ein eiserner Gegenstand ohne irgendwie mit dem Boden verbunden zu sein, an ihm vorbei durch die Luft schoss und sich mit voller Wucht in Peter rammte.
Dann fühlte Francis einen Stoß und taumelte nach hinten, wo er über irgendetwas stolperte, das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte. Er traf mit dem Kopf auf und verlor für eine Sekunde völlig die Orientierung, wo er war und was gerade passierte.
Er riss sich zusammen und kämpfte gegen den schwindelerregenden Schmerz und die drohende Ohnmacht an
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