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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Isolation hörte. Er wirbelte zu Mr. Evil herum und schüttelte heftig den Kopf »Nein, nein, ich bin okay, wirklich, ich, ich hab eigentlich nur meine Pflicht getan, ehrlich. Ich mach keine Probleme, ganz bestimmt nicht …« Ihm versagte die Stimme.
    »Schauen wir mal«, sagte Evans, »wie er auf das Sedativum reagiert.«
    »Mir geht’s gut«, beteuerte Lanky. »Ganz bestimmt. Ich mach Ihnen keine Scherereien. Nicht im Geringsten. Bitte stecken Sie mich nicht in die Isolierzelle.«
    Evans drehte sich zu Short Blond um. »Sie können eine Pause machen«, sagte er. Doch die zarte Lernschwester schüttelte den Kopf.
    »Geht schon«, sagte sie tapfer, bevor sie zu der älteren Frau im Rollstuhl zurückkehrte, um sie zu füttern. Francis entging nicht, dass Lanky immer noch in Short Blonds Richtung starrte, einen Ausdruck in seinem Blick, den er sich mit Unsicherheit erklärte, der aber, wie er im Nachhinein dachte, genauso gut von manch anderen Emotionen herrühren mochte.
    An diesem Abend drängelte sich die übliche Schar maulend zur Medikamentenausgabe an der Pflegestation. Short Blond stand hinter dem Maschendraht und half bei der Verteilung der Pillen, während jedoch die älteren und erfahreneren Schwestern bei den Verabreichungen für diese Nacht den Ton angaben. Ein paar Stimmen beschwerten sich, und ein Mann fing zu weinen an, als ein anderer ihn beiseite stieß, doch ansonsten kam es Francis so vor, als hätte der Ausbruch beim Abendessen den meisten Amherst-Bewohnern, wenn schon nicht die Sprache verschlagen, so aber doch entschieden gedämpft. Ihm kam der Gedanke, dass es in der Klinik entscheidend um Gleichgewicht ging: Medikamente glichen die Wahnvorstellungen aus; Alter und räumliche Beschränkung zügelten die Energien und Ideen. Alle hier akzeptierten eine gewisse Routine, dachte er, die den Bewegungsspielraum klaren Grenzen und Regeln unterwarf. Selbst das sporadische Gerangel und Gezeter wie etwa bei der abendlichen Pillenausgabe war Teil eines ausgeklügelten, verrückten Menuetts, so festgelegt wie jeder Schritt bei einem Tanz der Renaissance.
    Er sah, wie Lanky in Begleitung von Big Black den Bereich vor der Pflegestation betrat. Der Lange schüttelte den Kopf, und Francis hörte ihn jammern: »Mir geht’s gut, mir geht’s gut. Ich brauch kein extra Beruhigungsmittel …«
    Doch in Big Blacks Gesicht war der typische Nur-mit-der-Ruhe-Ausdruck verschwunden, und Francis hörte, wie er ruhig sagte: »Lanky, du bist jetzt ganz brav und machst keinen Aufstand, weil sonst müssen wir dich nämlich über Nacht in die Jacke und in die Isolierzelle stecken, und das willst du doch nicht. Also lass die Luft ab, krempel deinen Ärmel hoch und sträub dich nicht gegen was, das nicht zu ändern ist.«
    Lanky nickte und zeigte sich gefügig, auch wenn Francis sah, dass er immer noch Short Blond, die am hinteren Ende der Pflegestation arbeitete, misstrauisch beäugte. Francis konnte deutlich erkennen, dass Lankys Verdacht gegen die junge Schwester, womöglich ein Kind des Satans zu sein, weder durch Pillen noch Argumente ausgeräumt worden war. Der lange Kerl schien vor Sorge von Kopf bis Fuß zu zittern. Doch er wehrte sich nicht gegen Schwester Bones, die mit einer aus der Spitze tropfenden Subkutaninjektion kam, seinen Arm mit Alkohol abwischte und die Nadel ungelenk in Lankys Haut stieß. Francis vermutete, dass es wehtat, doch Lanky zeigte keinerlei Unbehagen. Vielmehr warf er einen letzten, langen Blick auf Short Blond, bevor er sich von Big Black in den Schlafsaal zurückführen ließ.

5
    Draußen vor meinem Apartment herrschte um diese Zeit am Abend dichter Verkehr. Ich hörte die Dieselgeräusche von schweren Lkws, das gelegentliche Plärren einer Autohupe und das beständige Surren von Rädern auf dem Pflaster. Im Sommer zieht die Nacht langsam herauf, sie schleicht sich ein wie ein niederträchtiger Gedanke bei einem glücklichen Anlass. Fleckige Schatten legen sich zuerst über die schmalen Straßen, um weiter durch die Gärten und über die Bürgersteige zu kriechen, die Häuserfassaden hinauf, um wie Schlangen durch die Fenster zu gleiten; oder sie setzen sich im Geäst der Bäume fest, bis am Ende die Dunkelheit von allem Besitz ergreift. Geisteskrankheit, musste ich oft denken, war ein wenig wie die Nacht, weil sie sich im Lauf der Jahre auf so unterschiedliche Weise meiner Gefühle und Vorstellungskraft bemächtigte – zuweilen schroff und schnell, dann wieder langsam und subtil, so dass

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