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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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fähig wäre«, sagte er. »Das sieht ihm ganz und gar nicht ähnlich. Selbst im schlimmsten Fall, und er war gestern besonders furchterregend, sieht ihm das hier immer noch nicht im Mindesten ähnlich. Lanky ist jemand, der mit den Händen rumfuchtelt und laut ist. Ich glaube nicht, dass er jemand ist, der tötet. Und schon gar nicht auf diese heimtückische, lautlose, meuchelmörderische Weise.«
    »Er hat gesagt, das Böse muss vernichtet werden. Er hat es wirklich laut gesagt, vor versammelter Mannschaft.«
    Peter nickte, doch sein Ton klang wenig überzeugt. »Glaubst du, er kann jemanden umbringen, C-Bird?«
    »Ich weiß es nicht. Irgendwie, unter den entsprechenden Umständen, glaube ich, dass jeder zum Mörder werden kann.«
    Über diese Antwort musste Peter lachen. »Also, du kennst mich«, sagte er. »Aber ich glaube, wir sollten jemand anderen kennen lernen.«
    »Einen Killer?«
    »Einen Engel«, sagte Peter.
     
    Kurz vor der nachmittäglichen Gruppensitzung kam Napoleon auf Francis zu. Der kleine Mann hatte etwas Zögerliches an sich, das auf Unentschlossenheit und Zweifel hindeutete. Er stotterte ein bisschen, die Worte lagen ihm offenbar schon auf der Zunge, kamen ihm aber nicht über die Lippen, weil er Angst davor hatte, wie sie aufgenommen würden. Er hatte die seltsamste Sprachbehinderung, denn wenn er sich in Verbindung mit seinem Namensvetter in die Geschichte stürzte, drückte er sich bei weitem klarer und präziser aus. Für seine Zuhörer lag die Schwierigkeit darin, die beiden Elemente sauber voneinander zu trennen – die Gedanken, die um die zurückliegende Nacht kreisten, von Ereignissen vor über hundertfünfzig Jahren.
    »C-Bird?«, fragte Napoleon charakteristisch nervös.
    »Was gibt’s, Nappy?«, erwiderte Francis. Sie hingen am Rand des Tagesraums herum, ohne so recht etwas zu tun, außer geduldig ihre Gedanken zu sortieren, so wie es die Insassen von Amherst oft zu tun pflegten.
    »Etwas macht mir die ganze Zeit schwer zu schaffen«, sagte Napoleon.
    »Allen macht etwas schwer zu schaffen«, erwiderte Francis. Napoleon strich sich über die Pausbacken.
    »Weißt du, dass kein General als brillanter gilt als Bonaparte?«, sagte Napoleon. »Ich rede von Alexander dem Großen oder Julius Cäsar oder George Washington. Ich meine, er hat mit seinem brillanten Geist die Welt neu gestaltet.«
    »Ja, ich weiß«, sagte Francis.
    »Aber was ich nicht begreife, ist, wieso man sich bei einem Mann, den alle rundum als Genie betrachten, nur an seine Niederlagen erinnert.«
    »Ich versteh nicht ganz«, sagte Francis.
    »Die Niederlagen. Moskau. Trafalgar. Waterloo.«
    »Ich weiß nicht, ob ich eine Antwort auf die Frage weiß, Nappy …«, fing Francis an.
    »Das macht mir ehrlich zu schaffen«, sagte Napoleon, »ich meine, wieso erinnert man sich immer an das, wo wir versagt haben? Wieso bedeuten Niederlagen und Rückzüge mehr als Siege? Meinst du, Gulp-a-pill und Mr. Evans reden je über den Fortschritt, den wir machen, in der Gruppe? Ich glaube nicht. Ich glaube, sie reden nur von den Rückschlägen und Fehlern und all den kleinen Anzeichen dafür, dass wir nach wie vor hierher gehören, statt von den Anzeichen dafür, dass es uns besser geht und wir vielleicht doch allmählich nach Hause gehen sollten.«
    Francis nickte. Da war etwas dran.
    Doch der Kleine fuhr fort und überwand dabei seine stotternde Schüchternheit. »Ich meine, Napoleon hat mit seinen Siegen die Landkarte Europas völlig verändert. Daran sollte man sich erinnern. Es macht mich wirklich so wütend …«
    »Ich wüsste nicht, was du dagegen tun könntest«, fing Francis an, doch der Kleine fiel ihm ins Wort, beugte sich zu ihm vor und sprach mit gesenkter Stimme weiter.
    »Es macht mich so wütend, wie Gulp-a-pill und Mr. Evil mich und all diese historischen Fakten behandeln, die so wichtig sind, dass ich letzte Nacht kaum schlafen konnte …«
    Jetzt hatte er Francis’ volle Aufmerksamkeit.
    »Du hast wach gelegen?«
    »Ich lag wach, als ich hörte, wie jemand einen Schlüssel im Schloss drehte.«
    »Hast du jemanden gesehen …«
    Napoleon schüttelte den Kopf. »Ich hab nur gehört, wie die Tür aufging, du weißt, mein Bett ist nicht weit davon weg, und ich hab die Augen fest zugekniffen, weil wir ja eigentlich schlafen sollten, und ich wollte nicht, dass jemand denkt, ich schlaf nicht und muss deshalb meine Medikamentendosis erhöht kriegen. Also hab ich so getan als ob.«
    »Erzähl weiter«, drängte

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