Die Anstalt
Francis.
Napoleon bog den Kopf zurück und versuchte zu rekonstruieren, was er mitbekommen hatte. »Ich hab gehört, wie jemand an meinem Bett vorbeigekommen ist. Und ein paar Minuten später wieder, nur diesmal in umgekehrter Richtung. Und dann hab ich gewartet, bis der Schlüssel sich wieder im Schloss dreht, aber das hat er nicht. Und dann hab ich nach einer ganzen Weile ein bisschen geschaut, nur ein bisschen, und da hab ich dich und Fireman auf dem Weg nach draußen gesehen. Wir dürfen nachts nicht raus. Wir müssen im Bett liegen und fest schlafen, also hat es mir einen Schrecken eingejagt, als ihr vorbeigekommen seid, und ich hab versucht, wieder einzuschlafen, aber dann hab ich gehört, wie Lanky Selbstgespräche führte, und das hat mich wach gehalten, bis die Polizei kam und die Lichter angingen und wir die schrecklichen Dinge sehen konten, die passiert sind.«
»Dann hast du also diese andere Person nicht gesehen?«
»Nein, ich glaube nicht. Es war dunkel. Aber vielleicht hab ich trotzdem ein bisschen hingeguckt.«
»Und was hast du gesehen?«
»Einen Mann in Weiß. Weiter nichts.«
»Kannst du sagen, wie groß er war? Hast du sein Gesicht gesehen?«
Wieder schüttelte Napoleon den Kopf. »Mir kommt jeder groß vor, C-Bird. Und sein Gesicht hab ich nicht gesehen. Als er an meinem Bett vorbeikam, hab ich die Augen fest zugekniffen und meinen Kopf versteckt. An eines kann ich mich allerdings erinnern. Er schien zu schweben. Ganz in Weiß, und als ob er schwebte.«
Der Kleine holte tief Luft. »Auf dem Rückzug von Moskau waren ein paar von den Leichen derart gefroren, dass ihre Haut wie das Eis auf einem Teich aussah. Zwischen grau und weiß und durchscheinend. Wie Nebel. Daran musste ich denken.«
Francis ließ das Gehörte auf sich wirken und sah in dem Moment, dass Mr. Evil durch den Tagesraum schritt und Zeichen machte, dass ihre nachmittägliche Gruppensitzung beginnen sollte. Er sah auch, wie sich Big Black und Little Black einen Weg zwischen den Patienten hindurchbahnten. Francis zuckte plötzlich zusammen, als er merkte, dass beide Männer ihre weißen Hosen und Pflegerjacken trugen.
Engel, dachte er.
Als er sich zur Gruppensitzung aufmachte, hatte Francis noch eine kurze Unterhaltung. Cleo verstellte ihm in einem jener Flure, die zu den Behandlungszimmern führten, den Weg. Bevor sie redete, wiegte sie sich vor und zurück, was ihn vage an eine Fähre erinnerte, die sich an ihren Liegeplatz im Hafen schmiegt.
»C-Bird«, sagte sie. »Glaubst du, Lanky hat das Short Blond angetan?«
Francis schüttelte zweifelnd den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Lanky dazu fähig ist«, sagte er. »Etwas derart Schlimmes traue ich ihm nicht zu.«
Cleo atmete tief aus. Ihr ganzer Körper zitterte. »Ich hab ihn für einen anständigen Mann gehalten. Ein bisschen verrückt, wie wir alle, manchmal verwirrt, aber für einen anständigen Mann. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er so etwas tut.«
»Er hatte Blut an seinem Nachthemd. Und er hatte Short Blond aus irgendeinem Grund auf dem Kieker, er dachte, sie wäre das Böse, und das hat ihm Angst gemacht, Cleo. Wenn wir Angst haben, tun wir Dinge, die man eigentlich nicht von uns erwarten würde. Wir alle. Ich möchte sogar wetten, dass mehr oder weniger alle hier, als sie Angst hatten, irgendwas angestellt haben, und deshalb sind sie hier.«
Cleo nickte. »Aber Lanky kam mir anders vor.« Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, das stimmt nicht. Er war wohl genau so. Und wir sind alle anders, das wollte ich sagen. Draußen war er anders, aber hier drinnen war er wie die Übrigen, und das, was passiert ist, das war wie etwas von draußen, das hier drinnen passiert.«
»Von draußen?«
»Du weißt schon, Blödmann. Draußen, wie dahinter, jenseits von hier.« Cleo machte eine ausholende Bewegung mit dem Arm, um die Welt jenseits der Anstaltsmauern zu umreißen.
Das leuchtete Francis in gewisser Weise ein, und er brachte ein zartes Lächeln zustande. »Ich glaube, ich verstehe, worauf du hinauswillst«, sagte er.
Cleo beugte sich vor. »Gestern Nacht ist im Schlafsaal der Mädels was passiert. Ich hab’s bisher noch keinem gesagt.«
»Was denn?«
»Ich war wach. Konnte nicht schlafen. Hab versucht, den ganzen Text zum Stück durchzugehen, aber es klappte nicht, obwohl es normalerweise geht. Normalerweise verdrehe ich spätestens bei Anthonys Monolog im zweiten Akt die Augen und schnarche sanft und süß wie ein Baby, nur dass ich
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