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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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abfärben. Die Stimmen waren gedämpft, die Gespräche einsilbiger als sonst. Die Patienten schlurften ein wenig langsamer durch die Flure, als hätte sich die Anstaltsabteilung in eine Kirche verwandelt. Selbst die Wahnvorstellungen, die so viele der Insassen befielen, waren offenbar verstummt, als seien sie vor einem viel handgreiflicheren und beängstigenderen Wahn ausnahmsweise in den Hintergrund getreten.
    Peter dagegen hatte im Flur Stellung bezogen. Er hatte sich an die Wand gelehnt und starrte direkt auf die Abstellkammer. Immer wieder maß er mit den Augen den Abstand zwischen der Stelle, an der die Leiche der Schwester gefunden worden war, und derjenigen, an der sie zuerst überfallen worden war – in der drahtgittergeschützten Pflegestation mitten im Flur.
    Francis ging langsam auf ihn zu. »Was hast du?«, fragte er ruhig.
    Peter the Fireman schürzte die Lippen, als müsse er sich schwer konzentrieren. »Sag mal, C-Bird, kannst du irgendeine Logik in dem Ganzen erkennen?«
    Francis wollte schon antworten, zögerte dann aber. Er lehnte sich neben Fireman an die Wand und blickte in dieselbe Richtung. Nach einer Weile sagte er: »Es ist, als ob man das letzte Kapitel in einem Buch zuerst gelesen hat.«
    Peter lächelte und nickte. »Wie meinst du das?«
    »Na ja«, sagte Francis langsam, »es ist, als ob es rückwärts abgespult würde. Nein, nicht rückwärts, eher wie ein Spiegel, als ob wir die Lösung erführen, aber nicht wüssten, wie wir drangekommen sind.«
    »Sprich weiter, C-Bird.«
    Francis spürte, wie ihn das, was er in der vergangenen Nacht gesehen hatte, mit einer Art lebendiger Energie erfüllte. In seinem Innern hörte er einen Chor der Zustimmung und Ermutigung. »Ein paar Dinge allerdings machen mir zu schaffen«, sagte er. »Ein paar Dinge, die ich nicht verstehe.«
    »Sag mir, was«, bat Peter ihn.
    »Na ja, Lanky schon mal. Wieso sollte er Short Blond umbringen wollen?«
    »Er hat gedacht, sie wäre das personifizierte Böse. Er hat vorher im Speisesaal bereits versucht, sie anzufallen.«
    »Ja, und dann haben sie ihm eine Spritze gegeben, die ihn eigentlich hätte zur Ruhe bringen müssen.«
    »Was sie aber nicht getan hat.«
    Francis schüttelte den Kopf. »Ich glaube schon, dass sie das hat. Nicht vollständig, aber doch so ziemlich. Als sie mir so ein Ding verpasst haben, da hab ich mich gefühlt, als hätten sie mir sämtliche Muskeln aufgeschlitzt, so dass ich kaum noch die Energie aufbrachte, die Augenlider zu heben und mich umzusehen. Selbst wenn sie Lanky nicht genug gegeben haben, hätte das, was er gekriegt hat, Wirkung zeigen müssen, glaube ich. Denn Short Blond umzubringen muss Kraft gekostet haben. Auch Willenskraft. Und mehr als das, nehme ich an.«
    »Mehr?«
    »Den Entschluss«, sagte Francis.
    »Weiter«, sagte Peter und nickte dabei.
    »Na ja, wie kommt Lanky aus dem Schlafsaal? Er war immer abgeschlossen. Und selbst wenn es ihm gelungen wäre, die Tür zum Schlafsaal aufzuschließen, wo sind die Schlüssel? Und wenn er schon rausgekommen ist, wieso sollte er dann Short Blond in die Abstellkammer mitnehmen? Ich meine, wie macht er das? Und wieso sollte er« – Francis zögerte und wählte seine Worte mit Bedacht – »sie überhaupt
tätlich angreifen?
Und so da liegen lassen, wie wir sie gefunden haben?«
    »Er hatte ihr Blut an seinen Sachen. Ihre Haube war unter seiner Matratze«, sagte Peter mit der unerbittlichen Stichhaltigkeit einer polizeilichen Ermittlung.
    Francis schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich eben nicht. Die Haube hat er. Aber nicht das Messer, mit dem er sie umgebracht hat?«
    Peter senkte die Stimme. »Wovon hat Lanky geredet, als er uns geweckt hat?«
    »Er hat gesagt, ein Engel wäre an sein Bett gekommen und hätte ihn umarmt.«
    Beide Männer schwiegen. Francis versuchte, sich vorzustellen, was es für ein Gefühl gewesen sein muss, als der Engel Lanky aus seinem nervösen Schlaf weckte. »Ich dachte, er hätte das erfunden. Ich dachte, das hätte er sich nur eingebildet.«
    »Ich auch«, sagte Peter. »Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.«
    Wieder starrte er auf die Abstellkammer. Francis tat es ihm gleich. Je länger er starrte, desto näher kam er dem entscheidenden Augenblick. Er hatte das Gefühl, als liefen die letzten Sekunden in Short Blonds Leben vor seinen Augen ab. Peter musste es bemerkt haben, denn auch er schien innerlich die Situation immer weiter einzugrenzen. »Ich will einfach nicht glauben, dass Lanky dazu

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