Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
Jones. Egal, wie viel Angst man hat oder wie unerträglich es für einen wird. Hier drinnen müssen Sie mit Ihren Albträumen allein fertig werden.«
    Sie sah ihn an, und in dieser Sekunde wusste sie, dass er aus eigener Erfahrung sprach. Sie lächelte den jungen Mann an und merkte, dass er sich, ein wenig nervös und eifrig bemüht, hilfreich zu sein, die Hände rieb, und plötzlich wurde ihr klar, dass es im Western State Hospital außer der Angst, die sie hergeführt hatte, alle möglichen Arten von Ängsten geben musste. Sie wusste nicht, ob sie sich mit allen vertraut machen sollte. »Francis«, sagte sie, »Sie scheinen eine poetische Ader zu haben. Trotzdem muss es schwer für Sie sein.«
    Die Stimmen, die in den letzten Tagen so schweigsam gewesen waren, erhoben jetzt hinter Francis’ Augen ein wahres Gebrüll. Um sie zur Ruhe zu bringen, sagte er: »Es wäre vermutlich hilfreich, Miss Jones, sich klar zu machen, dass wir, obwohl wir alle hier zusammengewürfelt worden sind, in Wahrheit alle allein sind. Mehr als irgendwo sonst, nehme ich an.«
    Eigentlich hatte er sagen wollen:
Mehr als irgendwo sonst auf der ganzen Welt.
    Lucy betrachtete ihn mit einem eindringlichen Blick. Eines war ihr klar geworden: Wenn irgendwo draußen jemand um Hilfe rief, dann war derjenige, der es hörte, verpflichtet zu handeln. Eine schlichte Sache des Anstands, dachte sie. Im Western State Hospital dagegen rief die ganze Zeit jemand um Hilfe, denn jeder hatte sie bitter nötig. Und so gehörte es, egal, wie verzweifelt und herzzerreißend die Schreie klingen mochten, zur Alltagsroutine, sie zu ignorieren.
    Einen Teil der Klaustrophobie, die sie in dieser Sekunde überkam, schüttelte sie ab. Sie drehte sich zu Peter um und sah, dass er mit verschränkten Armen und einem Grinsen auf den Lippen neben ihr stand. »Ich glaube«, sagte er, »Sie sollten den Schlafsaal sehen, wo wir alle lagen, als es passierte.«
    Und damit führte er sie den Flur entlang und blieb nur hier und dort stehen, um ihr die Stellen zu zeigen, wo sich Blutlachen befunden hatten. Doch auch die waren bereits getilgt worden.
    »Die Polizei«, sagte er ruhig, »dachte, diese Blutflecken seien die Spur, die Lanky hinterlassen hat. Und sie wurden alle verwischt, weil der Idiot vom Sicherheitsdienst in einer Lache ausgerutscht ist und das Blut überall hingetragen hat.«
    »Und wonach sahen diese Spuren für Sie aus?«, fragte Lucy.
    »Für mich waren sie auch eine Spur, aber eine, die zu ihm hinführte, nicht eine, die er hinterlassen hat.«
    »Er hatte ihr Blut an seiner Nachtwäsche.«
    »Der Engel hat ihn umarmt.«
    »Der Engel?«
    »So hat er ihn genannt. Der Engel, der an sein Bett gekommen ist, um ihm zu sagen, das Böse sei vernichtet.«
    »Sie meinen …«
    »Was ich meine, Miss Jones, ist ziemlich offensichtlich.«
    Er öffnete die Tür zum Schlafsaal, und sie gingen hinein. Francis zeigte ihr, wo sich sein Bett befand, und Peter the Fireman tat es ihm gleich. Sie zeigten ihr auch Lankys Bett, von dem nicht nur die Wäsche, sondern auch die Matratze entfernt worden war, so dass nur noch der Stahlrahmen mit den Metallfedern übrig blieb. Die kleine Feldkiste, die er für seine spärlichen Kleider und wenigen Habseligkeiten gehabt hatte, war ebenfalls verschwunden, so dass von Lankys bescheidenem Leben im Schlafsaal nicht viel mehr als ein Skelett übrig war. Francis sah, wie Lucy mit den Augen die Entfernungen abschätzte, auch die zwischen den Betten, sowie den Weg zur Eingangstür und den zur angrenzenden Toilette. Einen Moment lang brachte es ihn ein wenig in Verlegenheit, ihr zu zeigen, wo sie wohnten. Ihm wurde schmerzlich bewusst, wie wenig Privatsphäre sie genossen und wie viel von ihrer menschlichen Würde ihnen in diesem überfüllten Raum genommen wurde. Es machte ihn wütend und verlegen, der Staatsanwältin dabei zuzusehen, wie sie die Örtlichkeit in Augenschein nahm.
    Wie immer lagen ein paar der Männer auf ihrem Bett und starrten zur Decke. Einer von ihnen war in eine leise, doch eindringliche Diskussion mit sich selbst vertieft. Ein anderer bemerkte sie und drehte sich auf die Seite, um ihr zuzusehen. Andere, gänzlich in ihre Gedanken vertieft, ignorierten sie einfach. Doch Francis sah, wie Napoleon sich erhob, einen grunzenden Laut von sich gab und seine Leibesfülle so schnell wie möglich durch den Saal bewegte.
    Er lief geradewegs auf Lucy zu, um sich mit einer etwas missglückten schwungvollen Geste vor ihr zu verbeugen. »Wir

Weitere Kostenlose Bücher