Die Anstalt
bekommen so selten Besuch aus der Welt«, sagte er. »Besonders solch schönen. Seien Sie willkommen.«
»Danke«, erwiderte sie.
»Werden Sie von diesen beiden Herren angemessen unterrichtet?«, fragte er.
Lucy lächelte. »Ja, bis jetzt waren sie ziemlich zuvorkommend.«
Napoleon wirkte ein wenig deprimiert. »Aha«, sagte er, »das freut mich zu hören. Aber bitte zögern Sie nicht, zu fragen, falls Sie sonst noch etwas benötigen.« Einen Moment lang fuchtelte er mit den Händen herum und klopfte sich an die Klinikkleidung. »Ich hab offenbar meine Visitenkarten nicht dabei«, sagte er. »Sie studieren nicht zufällig Geschichte?«
Lucy zuckte die Schultern. »Nicht speziell. Obwohl ich während des Grundstudiums ein paar Kurse zur europäischen Geschichte belegt habe.«
Napoleons Augenbrauen schnellten in die Höhe. »Und wo mag das gewesen sein?«
»In Stanford«, erwiderte Lucy Jones.
»Dann sollte Ihnen klar sein«, sagte Napoleon und machte mit einem Arm eine ausladende Geste, während er den anderen plötzlich an die Seite drückte, »dass gewaltige Kräfte im Spiel sind. Die Welt ist in der Schwebe. Augenblicke erstarren in der Zeit, während ungeheure Verwerfungen die Menschheit erschüttern. Die Geschichte hält den Atem an; Götter ringen auf dem Feld der Ehre. Wir leben in Zeiten kolossaler Umbrüche. Ich schaudere bei dem Gedanken, was das alles zu bedeuten hat.«
»Man tut, was man kann, jeder auf seine Weise«, erwiderte Lucy.
»Natürlich«, antwortete Napoleon und verneigte sich tief. »Wir tun alle, wozu wir berufen sind. Wir alle spielen unsere Rolle auf der großen Weltenbühne. Der kleine Mann kann groß werden. Der unscheinbare Augenblick wird schicksalsträchtig. Die kleinste Entscheidung kann große Entwicklungen in Gang setzen.«
Dann beugte er sich vor und flüsterte: »Wird die Nacht hereinbrechen? Oder werden die Preußen rechtzeitig eintreffen, um den Eisernen Herzog zu befreien?«
»Ich glaube«, sagte Lucy zuversichtlich, »dass Blücher rechtzeitig erscheint.«
»Ja«, sagte Napoleon fast mit einem Augenzwinkern. »In Waterloo war es so. Aber heute auch?«
Er lächelte geheimnisvoll, winkte Peter und Francis noch einmal kurz zu, drehte sich um und ging.
Peter, das typische süßsäuerliche Grinsen um die Mundwinkel, zuckte erleichtert die Schultern und sagte Francis ins Ohr: »Ich wette, Mr. Evil hat jedes Wort mit angehört, und Nappy kriegt heute Abend seine Dosis erhöht!« Zum Schein flüsterte er, sprach aber laut genug, dass Lucy Jones und, wie Francis vermutete, auch Mr. Evans es hören konnte, der ihnen in einigem Abstand nachgekommen war.
»Er scheint recht freundlich zu sein«, sagte Lucy. »Und harmlos.«
Mr. Evil trat dazu. »Ihre Einschätzung ist korrekt, Miss Jones«, bestätigte er mit Nachdruck. »Und das gilt für beinahe jeden hier. Meistens fügen sie nur sich selbst Schaden zu. Uns Betreuern stellt sich das Problem, herauszufinden, wer von ihnen potenziell gewalttätig ist. Wer von ihnen dieses Potenzial in sich trägt. Manchmal müssen wir danach Ausschau halten.«
»Und aus dem gleichen Grund bin auch ich hergekommen«, erwiderte sie.
»Natürlich«, sagte Mr. Evans, wähend er zu Peter the Fireman hinüberschielte, »bei einigen fällt die Antwort leicht.«
Die beiden Männer funkelten sich wie immer an. Dann streckte Mr. Evil die Hand aus und fasste Lucy Jones wie ein Kavalier der alten Schule behutsam am Arm, was jedoch unter den gegebenen Umständen etwas ganz anderes zu bedeuten hatte. »Wenn Sie gestatten, Miss Jones«, sagte er, »würde ich Ihnen jetzt gerne die übrige Klinik zeigen, auch wenn sie größtenteils nicht viel anders aussieht als dieser Teil hier. Am Nachmittag stehen Gruppensitzungen und andere Aktivitäten auf dem Programm, dann das Abendessen und noch einiges andere, das getan werden muss.«
Eine Sekunde lang sah es so aus, als wollte Lucy sich dem Griff des Psychologen entziehen. Dann nickte sie und antwortete: »Das wäre nett.« Doch bevor sie ging, drehte sie sich zu Francis und Peter the Fireman um und sagte: »Ich hätte später noch einige Fragen an Sie. Oder vielleicht auch morgen früh. Ist Ihnen das recht?«
Francis und Peter nickten beide.
»Ich bin nicht sicher, ob die beiden Ihnen von allzu großer Hilfe sein können«, sagte Mr. Evans und schüttelte den Kopf.
»Vielleicht können sie es, vielleicht auch nicht«, sagte Lucy Jones. »Das werden wir sehen. Eines jedenfalls steht fest, Mr.
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