Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
den vertrockneten braunen Stängeln des Neu-England-Frühlings die kleinste Bewegung auszumachen und seine Beute zu sondieren.
    Von den Patienten setzte sich keiner zu ihr, anfangs nicht einmal Francis oder Peter the Fireman. Das war Peters Idee. Er hatte zu ihr gesagt, es sei nicht sinnvoll, allzu viele Leute wissen zu lassen, dass sie mit ihr zusammenarbeiteten, auch wenn die Leute nicht lange brauchten, um das selber herauszufinden. Und so ignorierten Francis und Peter sie in den ersten Tagen im Speisesaal.
    Cleo allerdings nicht.
    Als Lucy ihr Tablett zur Rückgabe trug, ging die füllige Patientin direkt auf sie zu.
    »Ich weiß, wieso Sie hier sind!«, sagte Cleo. Sie war laut und absichtlich vorwurfsvoll, und ohne das übliche Geklapper von Geschirr und Tabletts hätte sie mit ihrem Ton die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt.
    »Ach tatsächlich?«, erwiderte Lucy ruhig. Sie ging an Cleo vorbei und fing an, Essensreste von einem robusten weißen Teller in einen Abfallbehälter zu kratzen.
    »Allerdings«, fuhr Cleo in sachlichem Tonfall fort. »Das ist nicht schwer zu raten.«
    »Meinen Sie?«
    »Ja«, sagte Cleo, nunmehr mit der typischen Theatralik und dem Draufgängertum, das Wahnsinn manchmal mit sich brachte, so dass es die gewöhnlichen Hemmschwellen durchbrach.
    »Dann sollten Sie mir vielleicht erzählen, was Sie denken.«
    »Aha! Natürlich. Sie meinen, Ägypten an sich reißen!«
    »Ägypten?«
    »Ägypten«, sagte Cleo mit einer ausladenden Geste, die den ganzen Saal einschloss und in der auch ein gewisser Tadel darüber steckte, wie Lucy Jones das Offensichtliche entgehen konnte. »Mein Ägypten. Und als Nächstes wollen Sie sich zweifellos auch an Mark Anton und an Cäsar heranmachen.«
    Cleo räusperte sich laut, verschränkte für einen Moment die Arme, so dass sie Lucy wie ein Fels den Weg verstellte, und endete mit ihrem in beinahe jeder Lebenslage passenden Spruch: »Die Arschlöcher. Die verdammten Arschlöcher.«
    Lucy Jones sah sie etwas verwirrt an und schüttelte den Kopf. »Nein, da liegen Sie entschieden daneben. Ägypten ist bei Ihnen sicher aufgehoben. Ich würde mir niemals anmaßen, jemandem eine solche Krone streitig zu machen, nicht um alles in der Welt.«
    Cleo stützte die Hände in die Hüften und starrte Lucy an. »Wieso sollte ich Ihnen glauben?«, fragte sie.
    »Ich kann Ihnen nur mein Wort darauf geben.«
    Die schwere Frau zögerte, kratzte sich dann in dem wirren Haarknäuel mitten auf ihrem Kopf. »Sind Sie ein Mensch von Ehrbarkeit und Anstand?«, fragte sie abrupt.
    »Das sagt man mir jedenfalls nach«, erwiderte Lucy.
    »Gulp-a-pill und Mr. Evil würden dasselbe sagen, aber ich traue ihnen nicht.«
    »Ich auch nicht«, sagte Lucy ruhig und beugte sich ein wenig vor. »Da sind wir uns jedenfalls einig.«
    »Wenn Sie also nicht gekommen sind, um Ägypten zu erobern, weshalb dann?«, fragte Cleo und stützte wieder die Hände in die Hüften, während sie in einen aggressiv intuitiven Tonfall wechselte.
    »Ich glaube, es gibt einen Verräter in Ihrem Reich«, sagte Lucy gedehnt.
    »Welche Art von Verräter?«
    »Die übelste Sorte.«
    Cleo nickte. »Das hat mit Lankys Verhaftung zu tun und dem Mord an Short Blond, nicht wahr?«
    »Ja«, erwiderte Lucy.
    »Ich hab ihn gesehen«, sagte Cleo. »Nicht gut, aber ich habe ihn gesehen. In der Nacht.«
    »Wen? Wen haben Sie gesehen?«, hakte Lucy nach und neigte sich, plötzlich ganz bei der Sache, unwillkürlich vor.
    Cleo schenkte ihr ein vielsagendes, katzenhaftes Lächeln, dann zuckte sie die Schultern. »Wenn Sie meine Hilfe brauchen«, sagte sie, nunmehr ganz Majestät, in herablassendem Ton, »dann sollten Sie ein förmliches Ersuchen an mich richten, zur rechten Zeit und am rechten Ort.«
    Damit trat Cleo zurück und machte, nachdem sie sich genüsslich und in übertriebener Manier eine Zigarette angezündet hatte, mit zufriedener Miene auf dem Absatz kehrt. Lucy schien nicht recht zu wissen, was sie tun sollte; sie trat einen Schritt in ihre Richtung, doch nur, um von Peter the Fireman abgefangen zu werden, der in diesem Moment sein Tablett zur Rückgabetheke gebracht hatte, obwohl Francis sehen konnte, dass er sein Essen kaum angerührt hatte. Er kratzte seinen Teller leer und schob seine Utensilien in die Geschirrabgabe. Während er noch damit beschäftgt war, hörte Francis, wie er zu Lucy sagte: »Das stimmt. Sie hat in der Nacht tatsächlich den Engel gesehen. Sie hat uns erzählt, er sei in den

Weitere Kostenlose Bücher