Die Apothekerin
Familie früh in ihre Hotelbetten zurück.
Der Hochzeitstag begann mit strahlendem Wetter, und meine Eltern waren erträglicher Laune. Meine Mutter zog mich mit verschwörerischer Miene in die Küche und schenkte mir ein Dutzend schneeweiße Hotelbadetücher, die von den zwölf Dienstreisen stammten, zu denen sie mein Vater im Laufe ihrer Ehe eingeladen hatte.
Nach einem etwas fetten Frühstück, das meine dicke Mutter und meine dürre Schwägerin bereitet hatten, holten uns die Trauzeugen ab. Dorit und Dieter wirkten beide seriös und richtig nett, so daß ich mich nicht vor meinen Eltern schämen mußte. Dorit war ihnen im übrigen nicht unbekannt, und sie glaubten, sie habe einen guten Einfluß auf mich. Nach der standesamtlichen Trauung trafen wir uns alle im Schloßcafe wieder. Ich sah hübsch aus, so bildete ich mir ein, das Kostüm stand mir gut, mein Vater hatte mir eigenhändig den Granatschmuck seiner Großmutter, eine sechsreihige Kette geschliffener Perlen, um den Hals gelegt, auf die ich schon lange spekuliert hatte.
Aber dann kam der Absturz. Ich sah Margot und war entsetzt. War das die räudige Katze, die Hermann Grabers Haushalt mehr schlecht als recht betreut hatte? Vor mir stand eine junge Frau im schwarzen Kleid, das oben durchsichtig und hinten bis zum Po-Ansatz dekolletiert war; völlig deplaziert und sicher von meinem Geld gekauft. Und angesichts dieser geballten Ladung an aggressivem Unterschichtssex fragten viele Männer auch noch neugierig: »Wer ist denn das?«
Zum Glück saß Margot beim Essen weit von mir entfernt. Aber mein Bruder rückte sofort zu ihr und schien sich zu amüsieren.
Neben meiner Chefin (im kiwifarbenen Safarikleid) saß Hermann Grabers alter Hausarzt Dr. Schneider. Levin hatte ihn eingeladen. Es sei kein Fehler, sich mit einem künftigen Kollegen gut zu stellen. Ich hatte nichts dagegen gehabt. Auch andere Viernheimer Honoratioren waren zugegen. Schließlich wollten wir bald dort wohnen, und Levin würde irgendwann eine Praxis eröffnen.
Nach dem Kaffee kam eine Tanzkapelle. Levin hatte bisher nie mit mir getanzt, da er diese Kunst angeblich nicht beherrschte. Die Musik war Dieters Hochzeitsgeschenk, das mich im ersten Moment freute, denn ich tanze gern und kann mir eine Hochzeitsfeier ohne Walzer gar nicht vorstellen.
Da Levin nicht daran dachte, sich zu erheben, forderte mich mein Vater auf, was man nach allgemein geltenden Regeln auch akzeptieren konnte. Die Trauzeugen Dieter und Dorit kamen auf die Tanzfläche, und dann folgten andere. Mein Vater war ein guter Tänzer, was ich gar nicht wußte, und es machte mir Spaß, ihm auf diese unproblematische Weise ein wenig nahe zu sein.
»Du kannst dir gar nicht denken, wie erleichtert ich bin«, sagte er, »daß du gut versorgt bist. In zwei Jahren gehe ich in Rente, dann kann ich dir nicht mehr helfen.«
»Vater, seit sechs Jahren bin ich berufstätig!«
Er nickte geistesabwesend. Wir tanzten mittlerweile einen Tango, als ich plötzlich neben mir Levin sah. Der Nichttänzer machte seine Sache viel zu gut, und die immer ordinärer werdende Margot zeigte eine erotische Performance. Mir war die Freude vergangen.
Nach dem letzten Tango setzte ich mich zu meiner Chefin. Sie hatte mir einen hilfesuchenden Blick zugeworfen. Der gute Dr. Schneider war angetrunken. Obgleich seine noch etwas ältere Ehefrau nur wenige Plätze weiter saß, bedrängte er meine Chefin mit zweideutigen Komplimenten. Nun, sie wußte, wie man damit umgeht. Trotzdem fühlte ich mich genötigt, ihr beizuspringen. »Meine Eltern möchten Sie gern kennenlernen«, sagte ich, und sie erhob sich bereitwillig, um den Platz zu wechseln.
Dr. Schneider betrachtete mich eingehend. »Da hat der Levin einen guten Griff getan«, sagte er. Er erzählte langatmig von seiner Freundschaft zum alten Graber und wie treu er mit dessen ganzer Familie über Jahrzehnte verbunden war. »Ich freue mich, wenn ihr nun nach Viernheim kommt und ich bald die vierte Generation behandeln werde.«
›Nein‹, dachte ich, ›falls ich ein Kind kriege, werde ich es nicht zu diesem Fossil in die Praxis bringen!‹ Aber ich blieb natürlich liebenswürdig.
»Er war schon ein harter Bursche, mein Freund Hermann«, fuhr der Arzt fort, »hart im Nehmen. Sonst hätte er es auch nie zu etwas gebracht, er kam aus ganz einfachen Verhältnissen. Sein Sohn war das schiere Gegenteil, aber der Levin weiß jetzt offenkundig auch, was er will.
Ja, nun ist er tot, der Hermann, dabei hätte er
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