Die Apothekerin
machte mich nur noch unzufriedener; es gehörte sich, daß beide Elternpaare anwesend waren. Ich wechselte das Thema. »Kannst du mir erklären, warum Dieter ausgerechnet dieses dumme Huhn geheiratet hat?«
»So ein Huhn ist gar nicht zu verachten. Sie hat ihm einmal aus der Patsche geholfen.«
»Deswegen muß man doch nicht gleich heiraten; sie passen überhaupt nicht zueinander.«
»Woher willst du das wissen«, sagte Levin.
7
»Waren Sie wirklich so dumm und haben diesen Filou geheiratet?« fragte Frau Hirte. »Wenn ja, dann überspringen Sie bitte die Hochzeit und erzählen Sie mir übergangslos von der erfolgreichen Scheidung.«
Anscheinend hatte sie beim letzten Mal aufmerksam zugehört. Aber die Hochzeit war wichtig, ich konnte sie nicht einfach überhupfen.
Wir wurden durch die Visite unterbrochen. Dr. Kaiser riß wieder mit beispielloser Taktlosigkeit Frau Hirtes Decke und Nachthemd hoch, um die Narbenverhältnisse zu prüfen. Er schien zufrieden, drückte ein wenig auf ihrer schlaffen Bauchdecke herum und fragte, ob sie in den Wechseljahren Hormone eingenommen hätte.
»Nach Frau Hirtes Dickdarm-Operation waren Hormone kontraindiziert«, sagte die Stationsschwester und hob die Augen gen Himmel, weil der Arzt das vergessen hatte. Mir reichte er nur seine Pranke, er sehe mich gleich noch beim Ultraschall.
Erst am Abend hatte ich die nötige Ruhe, Frau Hirte mit der Fortsetzung meiner Lebensgeschichte zu beglücken.
Bei den Hochzeitsvorbereitungen erwies sich Dorit einmal mehr als echte Freundin. Sie half mir bei der Organisation, bestellte Hotelzimmer, machte sich Gedanken zur Tischdekoration und gab gemeinsamen Freunden Tips für passende Geschenke. Levin hatte wenig Interesse an diesen Dingen, aber er beriet sich im Schwetzinger Schloßrestaurant mit dem Chefkoch und stellte ein fürstliches Hochzeitsessen zusammen.
Einen Tag vor dem großen Fest saß ich wieder einmal bei Dorit in der Küche und kühlte die müden Füße in einem Eimer mit Wasser plus kreislaufanregenden Essenzen. Ich war ihr in diesem Moment so zugetan, daß ich - gegen meine Vorsätze - erzählte, die große Erbschaft werde in Kürze mein Eigentum, nicht etwa Levins. Sie spitzte die Ohren. Ich sollte ihr versprechen, Levin keine Vollmacht über mein Vermögen zu geben - sie traute ihm zu, in einem Jahr alles verjubelt zu haben.
Ich wand mich ein wenig. »Dorit, er wird es aber verlangen. Und ich war nie materialistisch eingestellt…«
Sie wurde ironisch. »Ich weiß, ich weiß, für dich zählen nur die inneren Werte. Aber dem Alten kam es darauf an, daß jemand auf den lieben Levin aufpaßt. Er hatte Vertrauen zu dir, sonst hätte er sein Testament nicht zu deinen Gunsten abgefaßt.«
Ich mußte ihr recht geben und versprach, Vorsicht walten zu lassen.
Mein Bruder mit Frau und Kind wurde aus dem Süden erwartet, meine Eltern kamen aus dem Norden. Als sie eintrafen, war Levin nicht im Hause; er wollte mir Gelegenheit geben, mit ihnen allein zu sein. Ich sah meinen Eltern die Vorurteile gegen ihren zukünftigen Schwiegersohn, den sie noch gar nicht kannten, an der Nasenspitze an.
Meine Mutter stellte die Standardfrage: »Was war sein Vater von Beruf?«
»Organist.«
»Du hast etwas von einer Erbschaft angedeutet, als Kirchenmaus…?«
»Die Erbschaft stammt vom Großvater.« Meinen Eltern stand die Frage »Wieviel?« im Gesicht geschrieben, aber sie waren zu fein, sie auszusprechen.
Prüfend ging mein Vater durch unsere Wohnung und begutachtete Ordnung und Sauberkeit. Ohne zu fragen, recherchierte er auch in Levins Zimmer. Endlich machte er den Mund auf: »Wie alt ist er?«
»Siebenundzwanzig.« Er seufzte, siebenunddreißig wäre ihm lieber gewesen. Unaufhörlich rührte er in seiner Teetasse, obgleich er sich den Zucker vor über zwanzig Jahren abgewöhnt hatte.
Zum Glück brachte mein Bruder etwas frischeren Wind mit. Seine langweilige Frau war mit dem kleinen Kind gleich im Hotel geblieben, ich hatte schon immer das Gefühl, daß sie mich ablehnte. Bob umarmte mich und unsere Eltern und versicherte mich seiner Freude über die Heirat.
Als Levin kam, begann man zu meiner Erleichterung über neutrale Themen zu sprechen, wir landeten bei Autos.
Meine Eltern beobachteten ihren Schwiegersohn mit finsterer Wachsamkeit, fanden aber so schnell keine grundlegenden Einwände gegen ihn. Zum ersten Mal fiel auch mir auf, daß Levin stets die drei obersten Hemdknöpfe offenließ. Der Abend verlief friedlich, auch zog sich meine
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