Die Apothekerin
noch einen schönen Lebensabend genießen können. Einen solchen Tod hätte ihm auch sein ärgster Feind nicht gewünscht.«
Mir blieb das Herz stehen. Levin hatte doch gesagt, es sei alles blitzschnell und »bestens« über die Bühne gegangen!
»Wieso?« fragte ich fast tonlos. »Ich dachte, er wäre ganz schmerzlos beim Frühstücken gestorben.«
»Ich war nicht dabei. Aber man sah sofort, daß er qualvolle Krämpfe gehabt hatte, an seinem verzerrten Gesicht, den verkrampften Händen; er wollte offenbar noch Hilfe herbeirufen - das Telefon lag am Boden, die Tischdecke war heruntergerissen. Nicht jeder Herztod ist schnell und friedlich.«
Mich trafen diese Worte wie ein Schlag. Ich hatte meine Rolle bei Hermann Grabers Tod bisher verdrängt und mich damit getröstet, daß er sowieso bald gestorben wäre.
Der Arzt sah, daß mir nicht gut war. Aber er dachte, es wäre die Nervosität der Braut. »Gehen Sie einen Moment an die frische Luft«, riet er.
Seit ich in unmittelbarer Nähe des Schwetzinger Schlosses wohnte, liebte ich den Park, als sei er mein Eigentum. Ich saß oft im Naturtheater und las, ich lagerte neben der künstlichen Ruine und picknickte, ich meditierte in der Moschee oder ließ mich auf einer der Bänke am Seeufer nieder und fütterte die Enten. An meinem Hochzeitstag hätte ich mir gewünscht, Hand in Hand mit Levin diesen Garten zu genießen, statt dessen stand ich nun ganz allein vor jener steinernen Sphinx, und wie alle Sphingen lächelte sie mich katzengleich an und schwieg. Sie war es nicht, die mir die Fassung wiedergab, es waren die uralten Bäume, die Vögel, vielleicht sogar die blöden Goldfische im Wasser. Nach zehn Minuten hatte ich mich wieder unter Kontrolle. Ich hieß jetzt Hella Moormann-Graber und mußte damit rechnen, mit Frau Graber angeredet und damit immer wieder an den alten Hermann erinnert zu werden. Daran mußte ich mich gewöhnen.
Leise und unauffällig wollte ich zur Hochzeitsgesellschaft zurückkehren, mich unter die Fröhlichen mischen und tanzen. Ich mied die großen, schnurgeraden Alleen und schlich mich hinter Bäumen und Buchsbaumkugeln in Richtung Festsaal. Der Park war keineswegs leer; außer späten Touristen liefen auch einige unserer Gäste hier herum, um sich nach dem Essen und Tanzen abzukühlen. Ich kam an jener Bank vorbei, die für Liebespaare wie geschaffen war und auf der ich schon häufig gesessen hatte. Sie war besetzt. Ich verharrte hinter Gebüsch, glaubte, etwas gehört zu haben, was mich erstarren ließ. Es stimmte: Margot saß hier. Aber nicht etwa mit Dieter; der Mann neben ihr war Levin.
Zum zweiten Mal wurde mir speiübel. Die beiden unterhielten sich angeregt. Sie saßen eng nebeneinander, in vertrautem Gespräch.
»Na gut«, sagte Levin, »sie sieht aus wie ein kleiner Drahthaarterrier, da hast du recht, aber sie macht alles, was ich will, was man von einem Terrier nicht unbedingt erwarten kann.«
Diese läufige Katze wagte es, mich mit einem Terrier zu vergleichen? Ich wollte hinausschießen und sie beißen.
»Kumm, Lävin, isch frier!« sagte Margot, und die beiden standen auf. Ich folgte unbeachtet.
Man tanzte im Saal. Kaum hatte ich mich wieder unter die Menge gemischt, als mich Dieter am Arm faßte. »Ich habe dich vermißt«, sagte er höflich, »dieser Tanz gehört mir!«
Gott sei Dank, daß es nicht Levin war, der diese Worte sagte, ich hätte mich nicht beherrschen können. Zu Dieters Verwunderung schmiegte ich mich an ihn, als wäre er der Bräutigam. Er reagierte kaum; es war purer Anstand, daß er mich nicht abschüttelte. Aber nach zwei Tänzen (denn ich machte keine Anstalten, ihn loszulassen) fanden wir eine Gemeinsamkeit des Dahingleitens heraus, die ihm zu gefallen schien.
Margot tanzte ekstatisch mit meinem Bruder (dessen Frau ein saures Gesicht machte), Levin mit Dorit. Er winkte mir scheinheilig zu. Ich hatte meine Miene nun im Griff und lächelte bezaubernd zurück. Es war Levin wohl inzwischen eingefallen, daß es seine verdammte Pflicht war, mit seiner frisch angetrauten Frau zu tanzen, und beim nächsten Walzer war ich an der Reihe.
Levin war über dreißig Zentimeter größer als ich, wie ein Traumpaar wirkten wir bestimmt nicht. Ich versuchte es wenigstens zu spielen und strahlte. Alle, vornehmlich aber meine spießigen Eltern, sahen uns mit Rührung zu. Allerhand blutige Märchen fielen mir beim Dreivierteltakt ein - nicht zuletzt Blaubarts letzte Frau, die die zerstückelten Leichen ihrer Vorgängerinnen
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