Die Arbeit der Nacht
20. Bezirk, lenkte den Wagen durch die engen Gassen im Karmeliterviertel des 2., wechselte in den 3., drehte in der Landstraße um, durchkämmte wieder den 2. Er ahnte, daß er hier am ehesten finden würde, was er suchte.
Zumeist mußte er nicht aussteigen, um festzustellen, daß das Gefährt am Straßenrand für ihn nicht taugte. Eine Vespa nützte ihm nichts, ebensowenig ein Maxi oder ein Kleinmotorrad oder gar eine Honda Goldwing. Er wollte eine Puch DS aus den Sechzigern, 50 Kubikzentimeter, 40 km/h Höchstgeschwindigkeit.
Er entdeckte eine in der Nestroygasse, doch der Schlüssel steckte nicht. Eine andere stand in der Franz-Hochedlinger-Gasse. Wieder kein Schlüssel. Auch in der Lilienbrunngasse hatte jemand eine Vorliebe für alte Mopeds gehabt. Kein Schlüssel.
Er kam am Haus in der Hollandstraße vorbei. Er hielt in der Wohnung Nachschau. Alles unverändert. Durch das Schlafzimmerfenster blickte er nach hinten in den Hof. Es sah aus wie auf einer Müllhalde.
Ihm fiel ein, was er vergangene Nacht geträumt hatte.
Der Traum hatte nur aus einem Bild bestanden. Ein gefesseltes Skelett lag rücklings auf dem Boden. Beide Füße steckten gemeinsam in einem übergroßen, alten Lederstiefel. Das Skelett wurde an einem Lasso langsam durch die Wiese geschleift. Dieses war am Sattel eines Pferdes befestigt, dessen Kopf nicht zu erkennen war. Vom Reiter sah man nur die Beine.
Deutlich stand das Bild vor ihm. Das Skelett, um dessen Oberkörper ein dickes Seil gewickelt war, an dem das Pferd zog. Die Füße, die im Stiefel steckten. Langsam bewegte sich das Skelett durch das Gras.
Er fuhr durch die Obere Augartenstraße, da sah er wieder eine. Genau was er suchte. Eine DS 50, an der der Schlüssel steckte. Hellblau, wie er sie damals gefahren hatte. Das Baujahr schätzte er auf 1968 oder 69.
Er drehte den Benzinhahn auf, schwang sich auf den Sattel und trat den Kickstarter. Zuerst gab er zuwenig, dann zuviel Handgas. Beim drittenmal knatterte der Motor auf, viel lauter, als er erwartet hatte. Die ersten Meter legte er wackelig zurück, doch als er durch das Eingangstor des Augartens rollte, hatte er das Moped im Griff.
Es war ein sonderbares Gefühl, auf einer DS über die staubigen Wege des Parks zu fahren. Mit sechzehn hatte er einen Vollvisierhelm getragen und nie den Fahrtwind im Gesicht gespürt, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Und nie hatte das Tuckern des Motors eine solche Stille durchschnitten.
Auf der langen Geraden, die im Schatten kräftiger Bäume am Parkcafé vorbeiführte, gab er Vollgas. Die Tachometernadel stand bei 40 Stundenkilometern an. Mindestens 65 fuhr das Moped. Sein Besitzer war im Frisieren geschickter gewesen als Jonas zu seiner Zeit. Er war damals bloß auf die Idee gekommen, die Lamellen aus dem Auspuff zu nehmen, was das Moped unwesentlich schneller, dafür jedoch sehr laut gemacht hatte.
Nach einer Umrundung des Flakturms wich er von den Gehwegen ab und kurvte durch die Wiesen. Die Bereiche mit den hohen Hecken mied er. Hecken waren ihm unsympathisch. Besonders wenn sie übertrieben gepflegt wurden. Und das sah man ihnen noch immer an. Baum, Strauch, Hecke, alles korrekt gestutzt und geschnitten.
Ich bin gerade über dir, ein paar Kilometer nur .
Er drang ins Café ein. Nachdem er sich einen Überblick über die kleine Örtlichkeit verschafft hatte, machte er sich Kaffee. Mit der Tasse setzte er sich in den Gastgarten.
Obwohl ihm der Augarten nicht besonders gefiel, war er hier einige Male gesessen. Mit Marie, die er zum Kino unter Sternen begleiten mußte. Eine Veranstaltungsreihe, die an Sommerabenden unter freiem Himmel auf einer Großleinwand Filme zeigte, in denen er verstohlen gähnte und auf seinem Stuhl rutschte. Marie zuliebe ging er hin. Trank Bier oder Tee, aß am Multikultibuffet, ließ sich von Stechmücken quälen. Gestochen hatten sie ihn so gut wie nie, doch ihr Summen hatte ihn mehr als einmal aus der Fassung gebracht.
Hier im Café, hundert Meter vom Kino und dem nur während der Kinowochen aufgebauten Buffet entfernt, hatte er auf Marie gewartet. Hatte den Spatzen zugesehen, die sich frech auf den Tischen niederließen und nach Eßbarem pickten. Hatte Wespen verscheucht und den kläffenden Pudeln alter Frauen gehässige Blicke zugeworfen. Aber in Wahrheit hatte ihn kein richtiger Ärger erfüllt. Weil er gewußt hatte, gleich würde Marie ihr Fahrrad an einen der Kastanienbäume vor dem Gastgarten lehnen und sich lächelnd zu ihm setzen und ihm von den
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