Die Arena
die Stadt und trinken einen Kaffee. Ich lade dich ein.«
»Gut«, sagte Jackie. »Ich will meinen schwarz. Am liebsten in einer Spritze.«
7
Das niedrige, größtenteils aus Glas bestehende WCIK-Studio war verschlossen, aber aus Lautsprechern unter dem Dachvorsprung drang »Good Night, Sweet Jesus« in der Interpretation des berühmten Soulsängers Perry Corno. Hinter dem Gebäude ragte der Sendemast auf, dessen rot blinkende Warnleuchten im hellen Morgenlicht kaum sichtbar waren. In der Nähe des Masts stand ein langer scheunenähnlicher Bau, in dem Linda das Stromaggregat des Senders sowie weitere Einrichtungen vermutete, die erforderlich waren, um die Botschaft vom Wunder der Liebe Gottes in den Westen von Maine, den Osten von New Hampshire und vielleicht zu den inneren Planeten des Sonnensystems auszustrahlen.
Jackie klopfte, dann hämmerte sie.
»Ich glaube nicht, dass hier jemand ist«, sagte Linda - aber auch dieses Gebäude kam ihr falsch vor. Und die Luft roch seltsam schal und abgestanden. Ihr Geruch erinnerte sie daran, wie es in der Küche ihrer Mutter selbst nach gründlichem Lüften gerochen hatte. Weil ihre Mutter wie ein Schlot geraucht hatte und der Überzeugung gewesen war, essenswert seien nur Dinge, die mit reichlich Schmalz in der Pfanne gebraten wurden.
Jackie schüttelte den Kopf. »Wir haben jemanden gehört, stimmt's?«
Darauf wusste Linda keine Antwort, denn es stimmte. Auf der kurzen Fahrt vom Pfarrhaus herüber hatten sie WCIK gehört und einen lockeren DJ, der den nächsten Titel als »eine weitere Message über Gottes Liebe in Songform« angekündigt hatte.
Diesmal dauerte die Suche nach dem Schlüssel länger, aber Jackie entdeckte ihn schließlich in einem Briefumschlag, der mit Klebeband unter dem Briefkasten befestigt war. Der Umschlag enthielt einen Zettel, auf den jemand 1 6 9 3 gekritzelt hatte.
Der Schlüssel war ein Nachschlüssel, der etwas klemmte, aber nach einigem Hin und Her funktionierte er doch. Sobald sie durch die Tür waren, hörten sie das regelmäßige Piepsen der Alarmanlage. Das Tastenfeld war in die Wand eingelassen. Als Jackie die vier Ziffern eintippte, verstummte das Piepsen. Jetzt war nur noch Musik zu hören. Perry Corno war einem Instrumentalstück gewichen, das in Lindas Ohren verdächtig wie das Orgelsolo aus »In-A-Gadda-Da-Vida« klang. Die Lautsprecher hier drinnen waren tausendmal besser als die Außenlautsprecher, und die Musik war lauter, pulsierte fast wie ein lebendes Wesen.
Kann jemand echt bei diesem moralisierenden Lärm arbeiten?, fragte Linda sich. Sich am Telefon melden? Seine Büroarbeit erledigen? Wie ist das möglich?
Auch hier drinnen war irgendwas falsch. Das spürte Linda ganz deutlich. Dieses Gebäude war ihr nicht nur unheimlich; es fühlte sich ausgesprochen gefährlich an. Als Linda sah, dass Jackie den Sicherungsriemen ihrer Dienstwaffe gelöst hatte, folgte sie ihrem Beispiel. Der Pistolengriff unter ihrer Hand fühlte sich gut an. Dein Stecken und Pistolengriff trösten mich, dachte sie.
»Hallo?«, rief Jackie. »Reverend Coggins? Irgendwer?«
Keine Antwort. Die Empfangstheke war unbesetzt. Links von ihr befanden sich zwei geschlossene Türen. Geradeaus lag ein Fenster, das eine gesamte Wand des Hauptraums einnahm. Dahinter konnte Linda blinkende Lichter sehen. Das musste der Senderaum sein, vermutete sie.
Jackie stieß die geschlossenen Türen mit dem Fuß auf und hielt dabei möglichst viel Abstand. Hinter der ersten lag ein Büro mit mehreren Schreibtischen. Hinter der anderen lag ein überraschend luxuriöser Konferenzraum, der von einem riesigen Flachbildschirm beherrscht wurde. Der Fernseher lief, aber ohne Ton. Anderson Cooper, fast lebensgroß, schien auf der Main Street von Castle Rock vor der Kamera zu stehen. Die Häuser hinter ihm waren mit Fahnen und gelben Schleifen geschmückt. Am Eisenwarengeschäft sah Linda ein Spruchband, das forderte: LASST SIE FREI. Davon wurde ihr noch unheimlicher zumute. Die Laufschrift am unteren Bildschirmrand meldete:
WIE AUS DEM VERTEIDIGUNGSMINISTERIUM VERLAUTET, STEHT DER LENKWAFFENEINSATZ UNMITTELBAR BEVOR.
»Wieso läuft der Fernseher?«, fragte Jackie.
»Weil jemand, der hier Dienst hatte, ihn angelassen hat, als er ... «
Eine hallende Stimme unterbrach sie. »Das war Raymond Howells Version von >Christ My Lord and Leader<.«
Beide Frauen fuhren zusammen.
»Und hier ist Norman Drake, der Sie an drei wichtige Tatsachen erinnert: Sie hören die
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