Die Arena
ich's. Nein, Sir. Ich habe nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnt, deshalb gehe ich. Haben Sie dazu was zu sagen, Lester Coggins?«
Dem war anscheinend nicht so. Andy pulverisierte die Tabletten, dann füllte er das Glas mit Wasser. Er kehrte das rosa Pulver mit senkrecht gehaltener Hand ins Glas, dessen Inhalt er mit dem Zeigefinger umrührte. Die einzigen Geräusche waren das Prasseln der Flammen, die undeutlichen Rufe der Männer, die den Brand bekämpften, und über ihm das Polter-bums-polter weiterer Männer, die auf seinem Dach herum trampelten.
»Ex!«, sagte er ... trank aber nicht. Seine Hand umklammerte das Glas, aber der feige Teil in ihm - jener Teil, der nicht sterben wollte, obwohl sein Leben wahrlich nicht mehr lebenswert war hielt sie dort, wo sie war.
»Nein, diesmal gewinnst du nicht«, sagte er, ließ aber das Glas los, damit er sich sein schweißnasses Gesicht nochmals mit der Tagesdecke abwischen konnte. »Nicht jedes Mal und nicht dieses Mal.«
Andy hob das Glas an seine Lippen. Süßes rosa Vergessen schwamm darin. Aber er stellte es wieder ab.
Der feige Teil in ihm beherrschte ihn weiter. Dieser gottverdammte feige Teil.
»0 Herr, schick mir ein Zeichen«, flüsterte er. »Schick mir ein Zeichen, dass es okay ist, das hier zu trinken. Vielleicht nur deshalb, weil es meine einzige Möglichkeit ist, diese Stadt zu verlassen.«
Nebenan stürzte das Dach des Democrat in einem Funkenregen ein. Über ihm rief jemand - anscheinend Romeo Burpee laut: »Seid bereit, Jungs, haltet euch bereit, verdammt nochmal!«
Seid bereit. Das musste das erbetene Zeichen sein. Andy Sanders hob das Glas mit dem todbringenden Inhalt wieder an die Lippen, und diesmal schien der feige Teil in ihm seinen Arm nicht festzuhalten. Der feige Teil schien aufgegeben zu haben.
In seiner Tasche spielte sein Handy die Anfangstakte von »You're Beautiful«, einem sentimentalen Scheißstück, das Claudie ausgesucht hatte. Einen Augenblick lang war er kurz davor, trotzdem zu trinken, aber dann flüsterte eine Stimme in seinem Kopf, auch dies könne ein Zeichen sein. Er konnte nicht beurteilen, ob es die Stimme des feigen Teils in ihm, die von Reverend Coggins oder die wahre Stimme seines eigenen Herzens war. Und weil er das nicht konnte, meldete er sich am Telefon.
»Mr. Sanders?« Eine Frauenstimme, müde und unglücklich und ängstlich. Alles das kannte Andy aus eigener Erfahrung. »Hier ist Virginia Tomlinson oben im Krankenhaus.«
»Ginny, natürlich!« Das klang wieder wie sein altes fröhliches, hilfsbereites Ich. Bizarr.
»Hier gibt's ein Problem, fürchte ich. Können Sie kommen?« Licht fiel in die konfuse Dunkelheit in Andys Kopf Es erfüllte ihn mit Staunen und Dankbarkeit. Können Sie kommen?, hatte jemand gefragt. Hatte er vergessen, wie wundervoll das klang? Vermutlich hatte er das, obwohl es der eigentliche Grund dafür war, dass er jemals als Stadtverordneter kandidiert hatte. Nicht um Macht auszuüben; darauf fuhr Big Jim ab. Sondern nur um anderen behilflich zu sein. So hatte er damals angefangen; vielleicht konnte er jetzt so enden.
»Mr. Sanders? Sind Sie noch da?«
»Ja. Halten Sie die Stellung, Ginny, ich komme sofort.« Er machte eine Pause. »Und nichts mehr von diesem >Mr.-SandersZeug<. Ich heiße Andy. Wir sitzen alle im selben Boot, wissen Sie.«
Er legte auf, ging mit dem Glas ins Bad und kippte seinen rosa Inhalt ins Wc. Sein gutes Gefühl - dieses Gefühl von Licht und Staunen - hielt an, bis er die Spültaste betätigt hatte. Dann sank seine Depression wieder wie ein muffiger alter Umhang auf ihn herab. Gebraucht werden? Eine ziemlich komische Vorstellung. Er war nur der dumme alte Andy Sanders, die Sprechpuppe auf Big Jims Knie. Das Sprachrohr. Der Schwätzer. Der Mann, der Big Jims Vorschläge und Beschlussanträge verlas, als wären es die eigenen. Der Mann, der alle zwei Jahre nützlich war, wenn es darum ging, Wahlkampf zu machen und mit rustikalem Charme um Stimmen zu werben. Dinge, zu denen Big Jim nicht bereit oder nicht fähig war.
Das Fläschchen enthielt noch viele rosa Pillen, der Wasserspender im Erdgeschoss weiteres Dasani- Wasser. Aber Andy dachte nicht ernsthaft über diese Dinge nach: Er hatte Ginny Tomlinson etwas versprochen, und er war ein Mann, der sein Wort hielt. Trotzdem war der Selbstmord damit nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. »Zurückgestellt«, wie man in der Kommunalpolitik sagte. Und es wurde Zeit, aus diesem Raum zu verschwinden, der fast
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