Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
Göttern! Würde es denn niemals Frühling werden? Dieser verfluchte Winter schien ewig dauern zu wollen. Nach den Stunden in Miathans warmen Gemächern schauderte Elewin in der bitterkalten Luft. Es war wieder Neuschnee gefallen, während er sich um den Erzmagusch gekümmert hatte, aber jetzt war der Nachthimmel klar, und die Temperatur war noch weiter gesunken. Der Schnee, der zu einer harten, scharfen Kruste gefroren war, knirschte laut unter seinen Stiefeln, als er den Hof überquerte, und er blickte nervös hinauf zu dem hell erleuchteten Fenster von Eliseths Zimmer. Wenn sie ihn hörten und hinaussahen … Er würde niemals erklären können, warum er in die Bibliothek ging, und schon gar nicht mitten in der Nacht. Miathan brauchte heutzutage keine Bücher mehr, dachte er trocken.
Seit Finbarrs Tod war die Bibliothek dunkel und leer gewesen. Die Bannzauber, die einer stetigen Erneuerung bedurften, brachen bereits, und als Elewin die schwere Tür aufdrückte, hörte er ein Rascheln wie das von Wind im Herbstlaub, und Mäuse und Küchenschaben huschten über den Boden, um sich zu verstecken. Der Haushofmeister schüttelte traurig den Kopf. Finbarr wäre entsetzt gewesen. Das unwiederbringliche Wissen von Jahrhunderten, um das er sich mit soviel Vorsicht und Geschicklichkeit gekümmert hatte, endete nun als Mistplatz für Ratten! Ich muß irgend jemanden finden, der sich darum kümmert, dachte Elewin, denn der Gedanke, daß Finbarrs kostbare Bände unter einer dicken Schicht aus Spinnweben und Staub langsam zerfielen, war ihm verhaßt. Es war eine Respektlosigkeit gegenüber dem Andenken an den Archivar, sein Lebenswerk einfach der Zerstörung preiszugeben – aber in Wahrheit gab es niemanden, der sich darum hätte kümmern können. Die meisten Diener waren in der ›Nacht des Todes‹, wie die Leute in der Stadt sie nannten, voller Entsetzen geflohen, und kaum jemand war bereit, auch nur in die Nähe der Akademie zu kommen. Elewin mußte sein Äußerstes geben, um überhaupt die allernotwendigsten Dinge getan zu bekommen, und einen Diener abzustellen, der die Bücher abstauben sollte, war ein Ding der Unmöglichkeit.
Da er es nicht wagte, ein Licht zu entzünden, tastete der Haushofmeister sich im Dunkeln durch den langen, modrigen Raum hindurch und fluchte, als er sich an der Ecke eines Tisches stieß und über einen Stuhl stolperte, der dort nichts zu suchen hatte. Wenn doch nur der Mond geschienen und ein wenig Licht durch die hohen Fenster geworfen hätte! Wenn er doch nur die Nachtsichtigkeit der Magusch besäße! Schließlich erwischte er jedoch das andere Ende, und seine suchenden Finger die in die Mauer eingelassene Tür, die hinunter in die Katakomben führte. Als Elewin einen kunstvoll geschmiedeten Schlüssel aus der Tasche zog, lächelte er in der Dunkelheit. Eliseth und Bragar dachten, alle Schlüssel zum Archiv seien sicher in ihrer Aufbewahrung, und es war auch wirklich kein Wunder, daß sie niemanden in den Katakomben haben wollten, wenn man bedachte, was sie da unten aufhoben! Aber sie wußten nicht, daß Finbarr Anvar seinen eigenen Schlüssel gegeben hatte. Elewin hatte ihn nach Anvars Flucht unter dessen wenigen Besitztümern gefunden. Im Archiv angelangt, schloß der Haushofmeister sorgfältig die Tür hinter sich zu.
Die Wände des Korridors fühlten sich eiskalt an, und Elewin hatte alle Mühe, eine Laterne zu entzünden. Der Feuerschein schlüpfte immer wieder durch seine steifgefrorenen Finger und zwang ihn dazu, sich niederzuknien und fluchend den Boden abzutasten. Wie sehr die Dinge sich doch verändert hatten. Früher hatte er jeden Diener, den er in der Akademie beim Fluchen erwischt hatte, verprügelt. Aber das war zu einer Zeit gewesen, bevor er zu einem Spion und einem Verräter der Magusch geworden war. Ihre Veränderung hatte ihn gezwungen, sich ebenfalls zu verändern.
Nachdem es ihm endlich gelungen war, die Laterne zu entzünden, entspannte sich Elewin ein wenig, denn das sanfte Glühen verbannte die Dunkelheit und ließ die kalte Luft in dem Korridor ein wenig wärmer erscheinen. Dank den Göttern! Hier unten in der Dunkelheit mit diesen Todesgeistern zusammenzusein war mehr, als er ertragen konnte. Obwohl die Geister ihrer Fähigkeiten beraubt waren, war es leicht, sich vorzustellen, wie sie sich rührten … wie sie erwachten … Elewin schauderte und begann, sich vorsichtig seinen Weg durch das Labyrinth von Fluren und Treppenhäusern unter der Akademie zu bahnen. Als
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