Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
alle drei mächtig ins Zeug legen, um die Kreatur zu besiegen.« Shia hielt inne und knurrte leise. »Wenn Aurian sie allein getroffen hat …«
»O ihr Götter!« Anvar schauderte und sah die Magusch vor seinem inneren Auge, wie sie dem furchterregenden, metallischen Tier gegenüberstand, nackt und unbewaffnet. Er schob den Gedanken beiseite und sprang auf. »Ich werde nicht aufgeben. Wir müssen weiter.«
»Da bin ich ganz deiner Meinung – aber wie?« Shia blickte über den gähnenden Abgrund der Höhle, und ihr Schwanz zuckte unglücklich.
»Dieses Ding hat es geschafft …« Anvar zwang sich, wieder an den Rand zu gehen, und versuchte herauszufinden, wie das Monstrum es fertiggebracht hatte, den Abgrund zu überqueren. »Es muß irgendeinen Weg geben, den wir nicht sehen können. Shia, komm hierher. Stell fest, ob du hier irgendwelche Magie spüren kannst.«
»Ja, da ist Magie!« Die Katze trat von dem Abgrund zurück, und ihr Fell stellte sich auf. Anvar kniete neben ihr nieder und tastete den Rand des Felsvorsprungs ab. Obwohl seine Augen ihm sagten, daß dort nichts war, trafen seine suchenden Finger auf glatten Stein, der sich, so weit er seinen Arm ausstrecken konnte, über den Abgrund erstreckte.
»Hier hat es die ganze Zeit eine Brücke gegeben. Eine unsichtbare Brücke. Wir können sie überqueren.«
Bohan hatte ihr fallengelassenes Bündel aufgehoben. Nun stand er zögernd und stirnrunzelnd da. Während er Anvar fragend ansah, zeigte er auf die tiefe Kluft und fuhr mit vagen Handbewegungen durch die Luft. Anvar verstand nur zu gut. Ihm selbst krampfte sich der Magen zusammen bei dem Gedanken daran, diese schwindelerregende Kluft zu überqueren und scheinbar nichts unter sich zu haben als dünne Luft. »Nein, mein Freund«, sagte er kläglich. »Unglücklicherweise habe ich keine Ahnung, wie man sie sichtbar machen könnte. Wir müssen einfach ganz, ganz vorsichtig sein.« Bohan schauderte.
Anvar ging voran und kroch auf Händen und Knien über den unsichtbaren Stein. Es kostete ihn mehr Mut, als er zu besitzen geglaubt hatte, diesen ersten Schritt ins Nichts hinaus zu wagen. Mit dem Gedanken an Aurian kämpfte er die würgende Angst nieder, die ihn zu übermannen drohte, und zwang sich, millimeterweise vorwärts zu kriechen, während er den Brückenbogen mit heftig zitternden Händen abtastete. Er versuchte, den anderen etwas zuzurufen, aber aus seiner Kehle kam nur ein ersticktes Quietschen. Dann räusperte er sich und versuchte es noch einmal. »Seid vorsichtig – es ist sehr schmal, und es gibt kein Geländer. Bewegt euch ganz langsam, die Oberfläche ist sehr glatt. Wir dürfen das hier nicht überstürzen.«
Die Zeit dehnte sich zu einem endlosen Alptraum. Anvar versuchte zuerst, seinen Blick auf die gegenüberliegende Wand des Abgrunds zu heften, aber auch das half nichts. Ihr Ziel schien nicht näher zu kommen, und er ertappte sich bei der Frage, ob nicht eine böse Magie in der Brücke steckte, die ihn immer in gleichem Abstand von seinem Ziel fernhielt und ihn endlos über diesem Abgrund halten würde, bis seine Kräfte versagten und er in den Tod stürzte. Er schloß die Augen und fühlte sich auf der Stelle besser. Und er begriff, daß er seine Augen im Augenblick nicht brauchte – die Brücke war ohnehin unsichtbar –, und kam viel leichter voran, wenn er den schwindelerregenden Abgrund unter sich nicht sah. Mit qualvoller Langsamkeit kroch er weiter, tastete blind und mit schweißnassen Händen links und rechts nach den Rändern des Brückenspanns; das Donnern seines Herzens hallte in seinen Ohren wider.
»Ich bin drüben!« Die Oberfläche des Steins unter Anvars suchenden Händen war plötzlich wieder rauher geworden. Er konnte die Ränder der Brücke nicht mehr fühlen und öffnete die Augen, um festzustellen, daß er sicher auf der anderen Seite angekommen war. Er kroch den anderen aus dem Weg und preßte sich dankbar auf den gesegneten, soliden Felsen. Sein Körper schmerzte und zitterte vor Anstrengung, und er war von Schweiß durchtränkt, aber er hätte vor Erleichterung weinen können. Bohan und Shia gesellten sich zu ihm, und alle drei ruhten sich eine Weile aus, zu überwältigt, um auch nur zu sprechen. Dann zwang Anvar sich, wieder aufzustehen, obwohl der Eunuch sehr erschöpft aussah, und selbst Shias sonst so geschmeidiger Schritt noch unsicher war. Er hielt keinen Augenblick inne, um über die Gefühle nachzudenken, die ihn weitertrieben, weiter, als seine
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