Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
unermeßlicher Tiefe nichts als strahlende Unendlichkeit. Anvar wurde schwindlig, sein Herz hämmerte, als wollte es sich seinen Weg aus seiner Brust heraus erkämpfen. Er war von der festen Überzeugung erfüllt, daß er, wenn er in dieses Wasser hineinfiel, für immer und ewig fallen würde.
Der alte Mann stieß einen langen, geduldigen Seufzer aus. Dann zeigte er zu Anvars Entsetzen entschlossen auf den furchterregenden Teich und begann endlich zu sprechen, wobei seine Stimme so trocken und tot war wie Friedhofsstaub, den der kühle Wind der Mitternacht aufrührt. »Glaube nie, der Tod sei gnadenlos. Dies ist der zweite Teil unseres Handels – vergiß nicht, daß es der dritte Teil sein wird, der über alles entscheidet.« Mit diesen Worten verschwand er.
Anvar wirbelte herum und blickte wild um sich, obwohl er tief in seinem Herzen wußte, daß es hoffnungslos war. Sein Führer war verschwunden. Das einzige, was er verstanden hatte, war der klare Befehl, zu dem Teich zurückzukehren. Er zögerte, denn er hatte Angst, sich dem schwindelerregenden Ufer zu nähern. Als hätten sie seinen Widerwillen gespürt, begannen die Bäume vor Ärger zu zittern, und ein murmelndes Zischen hallte durch ihre Äste, die sich zu drehen und zu winden begannen und sich wie knochige, drohende Hände nach ihm ausstreckten.
Hastig kehrte Anvar zum Teich zurück, und der Tumult in den Bäumen erstarb. Als er näher kam, blitzten und flackerten Lichtstrahlen aus der Dunkelheit der glasigen Oberfläche auf und ließen ihn zusammenzucken und seine Augen beschirmen. Er ging mit zitternden Gliedern weiter und kniete am Rand des Teiches nieder, da er sich auf diese Weise etwas sicherer fühlte. Und es war eine gute Entscheidung gewesen. Das funkelnde Universum in den Wassern drehte sich in einem wilden Wirbel aus Licht und zog ihn hinunter in seinen schwindelerregenden Strudel …
Anvar spürte, wie er sich gefährlich weit über den Teich beugte und seine Nase diese wirbelnde Oberfläche beinahe berührte. Er verlor das Gleichgewicht … Unfähig, sich von dem hypnotischen Strudel zurückzuziehen, grub er seine Finger tief in das nachgiebige Moos am Ufer und preßte sich mit der ganzen Kraft seiner steifen Arme nach hinten. Er blinzelte, als aus den Tiefen ein feuriger Fleck, seltsam leuchtend inmitten des wirbelnden Weiß, auf ihn zuraste. Der Punkt wurde größer; teilte sich; nahm eine glühende Form an und schließlich eine Gestalt. Ein Schrei entrang sich Anvars Kehle. Er wurde mit ungeheurer Gewalt zurückgerissen, als eine Gestalt aus den Wassern hervorbrach und ihn mit kristallenen Tropfen übersäte, die wie Feuer brannten. Eine verzweifelnde Stimme rief seinen Namen, während Aurian in der Mitte des Teiches um sich schlagend kämpfte und sich mit aller Kraft dagegen wehrte, wieder hinunter in das wirbelnde Nichts gezogen zu werden.
»Aurian!« Mit einem erschreckenden Aufblitzen kehrte die Erinnerung zu Anvar zurück und mit ihr die Verwirrung. War das die Oase? Aber es blieb ihm keine Zeit, darüber nachzudenken. Die Magusch wurde schwächer, wurde hinabgezogen von einer großen, schwarzen Last, die größer war als sie selbst – Shia. Anvar wußte irgendwie, daß es das Ende für sie alle bedeuten würde, wenn er ebenfalls in den Teich sprang. Er reckte sich, so weit er konnte, und beugte sich bis an die absolute Grenze seiner Reichweite über das Wasser. Aurians wilde, unkontrollierte Bewegungen machten es ihm schwer. Er verfehlte sie einmal, zweimal. Obwohl sie immer noch genau wie er ihre Wüstengewänder zu tragen schien, fand er nichts, woran er sie hätte festhalten können. »Deine Hand«, rief er ihr zu und betete darum, daß sie ihn hörte. »Gib mir deine Hand!«
Er sah, wie sie Shia mit dem einen Arm fester packte, sah das Weiß ihres anderen Arms, als sie ihn nach ihm ausstreckte. Er beugte sich gefährlich weit nach vorn, griff wild nach ihrer Hand und versuchte, sich zurückzuwerfen, als er spürte, wie seine Finger sich um ihr Handgelenk schlossen. Das vereinte Gewicht von Aurian und der Katze zog an ihm; er spürte, wie er ausglitt … Anvar legte sich flach auf den Boden und klammerte sich mit aller Kraft fest; die Muskeln seines Armes waren zum Zerreißen gespannt. Wenn er beide Hände hätte benutzen können – aber die andere klammerte sich noch immer an das weiche Moos, der einzige Halt, der ihn davor bewahrte, der Magusch in den Teich zu folgen. Obwohl das Moos tiefe Wurzeln hatte, konnte Anvar
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