Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
lagen, konnte er die anderen nun seit Tagen zum ersten Mal wieder sehen – allerdings war ihr Anblick keineswegs beruhigend. Auf Sangras Gesicht zeigten sich Schmutz und blaue Flecken; mit grimmiger Entschlossenheit erwiderte sie in dem dämmrigen Licht seinen Blick. Elewin, unter dessen Augen dunkle Schatten lagen, hustete Blut. Und Meiriel – bei den Göttern, wenn sie doch nur dieses endlose Auf- und Abgehen seinließe! Sie murmelte etwas von Tod und Dunkelheit, und der Wahnsinn hatte ihr Gesicht zu einer wilden, grausamen Grimasse verzerrt. Parric war verärgert. Nein, er war fuchsteufelswild und unerträglich frustriert. Er vergaß die Gefahr, in der er selbst schwebte, er sah nur seine Kameraden und wie sie litten.
»Laßt mich hier raus!« Der Kavalleriemeister hämmerte mit den Fäusten auf die unnachgiebige Tür ein. »Ihr sollt verflucht ein, laßt mich mit irgend jemandem reden!« Er wirbelte herum und stürzte sich auf Meiriel. »Du sprichst ihre Sprache! Sag es ihnen, du Hexe! Sag ihnen, daß wir nicht ihre Feinde sind!«
» Ach, seid ihr das nicht ?« Die Stimme war sanft und schwer faßbar und schien von überallher zu kommen.
»Großer Chathak!« hauchte Sangra. »Ist das wirklich?«
Parric starrte mit offenem Mund die Wand an. Der Kerker, der ohnehin kühl war, war plötzlich noch kälter geworden. Ein Windstoß ging durch die Zelle und wehte die widerliche Feuchtigkeit fort. Dort in der Ecke stand ein junger Mann, an dem eigentlich nichts Besonderes war – außer daß der Kavalleriemeister durch seinen Körper hindurch die tropfende Fackel und die rauhen Steinmauern des Gefängnisses sehen konnte.
Parric machte einen Schritt zurück; er verspürte ein Kribbeln auf der Kopfhaut, und sein Mund war plötzlich wie ausgedörrt. Ein Geist ? Normalerweise hätte der Kavalleriemeister über einen solchen Unsinn nur gelacht, aber nachdem er in Nexis die Nacht der Todesgeister miterlebt hatte, hatte sich seine Beziehung zum Unsichtbaren verändert. Seine Eingeweide zogen sich zusammen, und kalte Schauer jagten über sein Fleisch. Instinktiv griff er nach dem Schwert, das die feindlichen Krieger ihm weggenommen hatten.
»Wer sind die hellen Mächte?« wollte die Erscheinung wissen. Parric war verwirrt, denn die Worte schienen in seiner eigenen, nördlichen Sprache gesprochen zu sein, aber nach der Bewegung der Lippen der Geistergestalt war es ganz offensichtlich, daß die Erscheinung eine andere Sprache sprach. Parric runzelte die Stirn. Es schien, als würden sich die Worte, wenn sie die Lippen des Geistes verließen, in der Luft umdrehen, um so an seine Ohren zu dringen, daß er sie verstehen konnte. Die Erscheinung sprach jedoch noch immer, und Parric riß seine Aufmerksamkeit mit Gewalt von dem Rätsel los, um sich auf die Worte des Geistes konzentrieren zu können.
»Ich muß es wissen«, beharrte die Erscheinung. »Wer sind die bösen Mächte, die die Nordwinde reiten und den Winter bringen?«
»Der Erzmagusch Miathan ist böse.« Parric war erleichtert darüber, daß Meiriel so weit in die Realität zurückgekehrt war, um endlich etwas zu sagen. Das Übernatürliche war die Domäne der Magusch, und im Augenblick hätte er einfach keine Antwort zustandegebracht. Die Erscheinung runzelte die Stirn. »Wer ist der Erzmagusch Miathan?«
Der Kavalleriemeister war froh, die Erklärungen zum Erzmagusch Meiriel überlassen zu können. Unglücklicherweise schien der Geist mit ihrem unzusammenhängenden Bericht über Miathans Grausamkeiten nicht zufrieden zu sein. »Erklär mir das!« forderte der Geist. »Du hast von den dunklen Mächten gesprochen, aber was ist mit den hellen Mächten? Wer sind die Hellen, zu deren Unterstützung ihr hierhergekommen seid?«
»Ich weiß nichts von irgendwelchen Hellen, aber ich bin hierhergekommen, um nach der Lady Aurian zu suchen.« Endlich hatte Parric seine Stimme wiedergefunden. Hilfesuchend blickte er zu Elewin hinüber, aber der alte Mann war zu tief in seinem Fieber versunken, um antworten zu können. Der Kavalleriemeister mußte die Last der Erzählung also selbst auf sich nehmen, was bei weitem keine leichte Aufgabe war. Die ganze Angelegenheit kam ihm immer unwirklicher vor, wie er da in dem Kerker eines fremden Landes saß und einem Geist von seiner Freundschaft mit Forral und von Aurian erzählte, die Forrals Kind unter dem Herzen trug, und von Forrals Ermordung durch Miathan. Mit unbeholfenen Worten erzählte er, wie Aurian und ihr Diener Anvar aus
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