Die Artefakte der Macht 03 - Flammenschwert
ihr und versuchte, sie hochzuziehen.
Aurian riß sich von ihm los. »Laß mich in Ruhe«, murmelte sie undankbar und begrub ihr Gesicht in dem feuchten, nach Morgendämmerung duftenden Gras. In diesem Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher, als der gesegneten, wunderbaren Erde so nah wie nur möglich zu sein. Eine köstliche Sekunde lang streckte sie sich dort aus, bis ihre Sorgen sie wieder auf die Beine brachten. Ihre Gefährten umringten sie – sie konnte ihre müden, rußverschmierten Gesichter jetzt ganz deutlich sehen. Zu ihrer Überraschung – denn sie hatte während des ganzen Fluges die Augen fest geschlossen gehalten – wurde der Himmel im Osten bereits hell. Ein schwacher Hauch von Kupfer strich bereits über die gezackten Gipfel von Stahlklaue und verlieh dem gequälten Berg vor dem Hintergrund des saphirfarbenen Himmels einen unheimlichen, unirdischen Schimmer.
Dann konnte Aurian plötzlich an gar nichts mehr denken, denn eine riesige, schwarze Gestalt stürzte auf sie zu, und eine Sekunde später lag sie wieder auf dem Boden – flach auf dem Rücken diesmal –, und Shia schlang die gewaltigen Tatzen um ihren Körper und strich ihr mit dem stoppeligen, schwarzen Gesicht über die Wangen, wobei sie die ganze Zeit über so laut schnurrte, daß es auf dem ganzen Berg zu hören sein mußte. »Du bist in Sicherheit! Ich dachte schon, ich hätte dich auch verloren!« Dann zog Shia sich ein wenig zurück und funkelte Aurian mit ihren feurigen, goldenen Augen wütend an. »Tu das nie wieder – versuch nie wieder, mich fernzuhalten, wenn du in Gefahr bist!«
»Ich werde mich bemühen«, versprach Aurian atemlos und war sich gleichzeitig ziemlich sicher, daß das eine Lüge war. Mühsam brachte sie sich in eine sitzende Position, bevor sie die Arme um Shias Hals schlang. »Ich bin so froh, dich zu sehen!«
Die große Katze preßte sich an sie, und Aurian wußte, daß sie in ihrem Kummer um Bohan Trost suchte. »Er war der erste«, sagte die große Katze leise. »Abgesehen von Anvar seid ihr beiden, du und Bohan, die einzigen gewesen, die von Anfang an dabei waren, von dem Augenblick an, als ich meine Freiheit wiedererlangte.«
»Und er war dein Freund«, erwiderte Aurian. »Ich weiß, wie nah du ihm gestanden hast. Er war auch mein Freund, Shia, und sobald wir die Gelegenheit dazu haben, werden wir um ihn trauern, wie es sich gehört.« Jetzt jedoch machte Anvar ihr größere Sorgen. Für Bohan konnte sie nichts mehr tun, aber solange sie hoffen durfte, daß ihr Seelengefährte noch lebte …
Und er lebte tatsächlich noch. Da sie so mit Shia beschäftigt gewesen war, war ihr das erste ferne Dröhnen von großen Flügeln entgangen, aber jetzt konnte Aurian es hören, und sie konnte auch den schwarzen Punkt sehen, der sich von Norden am Himmel näherte. Kurze Zeit später ließen die beiden Geflügelten Anvar direkt vor ihr fallen. Er sah bleich und müde aus, war aber unverletzt und eindeutig lebendig. Dank sei den Göttern, dachte Aurian, während sie sich aus der Umarmung der Katze befreite und sich mit der gleichen Heftigkeit auf Anvar stürzte, mit der sich vorher Shia auf sie gestürzt hatte. »Du bist hier!« Sie wußte, wie lächerlich das klingen mußte, aber das war ihr egal. »Du bist gesund!« Sie ließ Anvar los und sah ihn prüfend an. »Es ist doch alles in Ordnung mit dir, oder? Die Xandim sind nicht durchgekommen?«
»Nein – aber sie waren kurz davor.« Dann ging Anvars angespannte Miene in ein Grinsen über. »Die Gesichter würde ich gerne sehen, wenn diese Meute auf ein leeres Zimmer stößt.«
»Sie werden sich schon irgend etwas dabei denken, aber in der Zwischenzeit sollten wir uns beeilen, von hier zu verschwinden.« Die Stimme kam von Chiamh. »Wenn sie meine Abwesenheit bemerken, werden sie mich mit Sicherheit zuerst in meinem Tal suchen.«
»Hast du nicht gesagt, sie hätten Angst, an den stehenden Steinen vorbeizugehen?« wandte Aurian ein.
»Ja – aber wenn irgend möglich, werden sie versuchen, mich gar nicht erst so weit kommen zu lassen.«
»Das stimmt.« Aurian blickte auf und stellte fest, daß einer der Himmelsleute neben ihr stand. »Während unseres letzten Fluges haben wir eine Schar berittener Männer gesehen, die auf den Klippenweg zueilten.«
»Verflucht!« rief Aurian. »Wird denn das nie aufhören?«
»Nicht sobald jedenfalls«, erwiderte Chiamh leise. »Nicht bevor der morgige Tag dämmert und nach einer abermaligen Herausforderung ein neuer
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