Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
»Linnet – erzähl mir einfach, was passiert ist – bitte!«
»Ich habe dir doch gesagt, ich weiß es eigentlich gar nicht. Plötzlich entwickelte Skua, der Hohepriester, magische Kräfte. Er sagte, es sei ein Zeichen der Götter, daß Aerillia von Yinzes Tempel aus regiert werden solle. Sonnenfeder und die Syntagma haben ihn unterstützt, und es kam zu einem furchtbaren Kampf gegen die Wache von Königin Rabe – bis Skua Blitze vom Himmel herunterholte und die Hälfte von Rabes Kriegern in Brand setzte.«
Linnet schauderte. »Es war furchtbar. Die Königin war damals hochschwanger. Sie und Lord Aguila mußten um ihr Leben flüchten. Binnen weniger Tage hatte sich die Stadt zu einem Ort der Angst und des Argwohns entwickelt. Lord Skua behauptete, er könne die Gedanken der Leute lesen und der Zorn der Götter werde sich auf jene herabsenken, die die Königin weiterhin unterstützen. Dann verschwanden tatsächlich Leute und wurden nie wieder gesehen. Ich war eine von Königin Rabes Hofdamen – das war ihre Belohnung dafür, daß ich sie als kleines Mädchen gerettet hatte. Ich erbot mich, zurückzubleiben und Informationen zusammenzutragen, aber nach einer Weile bekam ich es doch mit der Angst. Man hatte mehr und mehr den Eindruck, daß Skua tatsächlich Gedanken lesen konnte. Ich wollte zu der Königin in die neue, südliche Siedlung der Himmelsleute fliehen, aber dann dachte ich an dich. Ich war sicher, daß nur ihr uns helfen konntet, daher bin ich statt dessen nach Norden geflogen.«
»Und ich wette, du hast unterwegs das eine oder andere Abenteuer erlebt«, meinte Aurian mit einem freundlichen Lächeln, »aber das kann zunächst einmal warten. Du bist nach der Heilung sicher sehr müde, daher solltest du erst einmal ordentlich ausschlafen, dann reden wir weiter.«
»Na gut. Und ich danke dir, Lady – ich bin so froh, daß du meinen Flügel repariert hast.« Linnet bückte zu der Magusch auf, und in ihren freimütigen Augen stand ein unverhohlenes Flehen. »Lady Aurian – du wirst doch mit mir nach Aerillia zurückkehren und meinem Volk helfen?«
Eisige Kälte durchpulste Aurians Herz. Sie fühlte sich plötzlich alt und sehr, sehr müde. Ich wünschte, die Leute würden aufhören, mich um Hilfe zu bitten, dachte sie. Andererseits hatte Linnets Geschichte in ihr einen ganz bestimmten Verdacht geweckt … »Es sieht stark danach aus, als würde ich das tatsächlich tun«, sagte sie zu dem Mädchen.
Ganz in Gedanken versunken kehrte Aurian in ihr Quartier zurück – und ging dann einfach an der Tür vorbei. Forral war in diesem Zimmer, und gerade jetzt wollte sie nicht, daß er peinliche Fragen stellte, wie zum Beispiel, wo sie hinging und warum. Linnets Bericht hatte lediglich ihren Verdacht bestätigt, daß Eliseth nach Süden gegangen sein mußte. Es würde der Wettermagusch durchaus ähnlich sehen, in einer fremden Stadt die Macht an sich zu reißen und die Gier der Menschen zu manipulieren, ohne selbst aus den Kulissen herauszutreten. Außerdem hatte etwas an der Situation, wie Linnet sie beschrieb, in der Magusch eine Saite zum Klingen gebracht, als sie an die Ereignisse in Nexis vor ungefähr einem Jahr dachte. Ich kann nicht recht den Finger darauf legen, was diese beiden Dinge miteinander verbindet, dachte sie, aber es gibt eine Verbindung, oder ich will eine Sterbliche sein.
Nun, es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Normale Hellseherei würde nicht funktionieren, nicht quer über den Ozean, aber mit Hilfe des stehenden Steines würde sie das Tor Zwischen den Welten durchschreiten können. Und von dort aus konnte sie dann herausfinden, was im Süden vor sich ging …
»Und wenn du schon dabei bist, könntest du auch gleich herausfinden, was aus Anvar geworden ist«, sagte eine leise Stimme ganz hinten in ihren Gedanken, »und das ist der eigentliche Grund ist, warum du dich in ein solch übereiltes, verrücktes Abenteuer stürzt und dein Leben aufs Spiel setzt.«
»Ach, halt den Mund«, sagte Aurian und machte sich auf die Suche nach Shia.
17
Der Weg durch den Stein
Die unheimliche Dunkelheit stürmte auf Aurian ein und war selbst für ihre Maguschsicht schwer zu durchdringen. Sie konnte nichts als das Dröhnen und Zischen der Brandung auf den Felsen hören, irgendwo weit unter ihr zu ihrer Linken. Vorsichtig ließ sie sich von dem Geräusch leiten, weg von der Stelle, an der sie den Rand der Klippen vermutete. Shia begleitete sie, aber das war keine Garantie
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