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Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara

Titel: Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Furey
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das harte Zischen eines stoßweisen Atems draußen vor der Tür. Mit einem Gefühl der Erleichterung ließ die Kleine, die sich nun ein wenig töricht vorkam, von der Puppe ab. Es war nur Papa, der zu Bett kam. Wie konnte sie ihn nur vergessen! Aber als sie hörte, wie er mit unbeholfenen Fingern den Türriegel hochzerrte, lief ihr doch ein kalter Schauder über den Rücken. Abermals wurde sie von Furcht gepackt. Der Vater hatte anscheinend wieder zuviel Wein getrunken – und mit einer traurigen Weisheit, die die kurze Spanne ihrer Lebensjahre Lügen strafte, wußte sie, wie das Ergebnis ausfallen würde.
    Die meiste Zeit war Alissas Vater lediglich ein gestrenger Herr seines kleinen Haushalts. Er arbeitete hart und erwartete, daß seine Familie, die Kinder eingeschlossen, ihren Anteil übernahm – sonst mochten ihnen die Götter gnädig sein. Gelegentlich verbrachte er jedoch den Abend in einer Taverne oder saß bis spät in die Nacht allein über seinem Weinkrug – und dann gab es unausweichlich Schwierigkeiten. In allzu vielen Nächten war Alissa, aufgeschreckt von dem Geräusch von Schlägen und gedämpften Schreien, aus dem Bett gekrochen, um unsichtbar und mit vor Furcht hämmerndem Herzen zuzusehen, wie er ihre Mutter schlug. Zu viele Male in ihrem kurzen Leben hatte sie selbst während seiner trunkenen Wutanfälle Prügel bezogen. Aber für gewöhnlich war das Kinderzimmer eine sichere Zuflucht, wenn der Vater betrunken war. Wenn er sie nicht sah, ließ er sie meistens in Ruhe. Heute nacht jedoch würde es kein Entrinnen für sie geben, es sei denn … Die Tür schwang auf, und ein Lichtstrahl ergoß sich ins Zimmer, aber Alissa, die in ihrem dünnen Nachtgewand zitterte, war bereits mitsamt ihrer Stoffpuppe unterm Bett verschwunden.
    Es war sehr staubig unter dem Bett. Alissa legte sich eine Hand übers Gesicht und atmete in flachen Zügen ein, weil sie hoffte, auf diese Weise das Kitzeln in ihrer Nase besänftigen zu können. Als sie aus ihrem Versteck spähte, sah sie ein Paar Füße in kräftigen Stiefeln unsicher auf das Strohlager an der Wand zuschlurfen, wo ihre Mutter ahnungslos und nach der harten Arbeit des Tages vollkommen erschöpft schlief. Obwohl sie gegen alle Erfahrung noch hoffte, daß ihr Vater in einer seiner besseren Stimmungen war und sich gleich schlafen legen würde, schob das Kind sich millimeterweise näher an die Bettkante heran und reckte den Hals, um besser sehen zu können.
    Papa stellte die Laterne auf den Fußboden neben Mutters Lager. Er bückte sich, und als der goldene Strahl des Lampenlichtes seine Züge erhellte, fand Alissa, daß er irgendwie fremd aussah. Sein Gesichtsausdruck war angespannt und unnahbar, als lausche er auf irgendein schwaches, von ferne kommendes Geräusch. Ihre Mutter regte sich, von dem Licht im Schlaf gestört, und rollte sich auf den Rücken. In Vaters Hand glitzerte etwas auf. Als das Messer heruntersauste und sich bis zum Griff in Mutters Brust grub, konnte Alissa gerade noch einen Aufschrei ersticken. Mit einem seltsamen, gurgelnden Geräusch krampfte die Frau sich zusammen, dann wurde ihr Leib schlaff. Alissa wünschte sich, von entsetzter Ungläubigkeit betäubt, wegschauen zu können, brachte es aber nicht fertig. Es war, als hätte sie sich in Stein verwandelt. Das konnte nicht wirklich geschehen – es konnte nicht ihr eigener Vater sein, der so etwas Schreckliches tat! Das Blut – das Blut war überall, es stank und glitzerte im Lampenlicht wie ein dunkler See.
    Mit einem heftigen Ruck riß Papa das Messer zwischen Mutters Rippen heraus und wandte sich zu ihrem kleinen Bruder um, der mittlerweile aufgewacht war und weinend in seinem Bettchen lag. Erst da war der Bann des Entsetzens gebrochen. Wie ein Blitz aus Eis, der sich in ihren Körper bohrte, traf Alissa die Erkenntnis, daß sie die nächste sein würde. Papa kehrte ihr, das Messer zum tödlichen Schlag erhoben, den Rücken zu. Alissa rollte sich herum und kroch unter dem Bett hervor. Der hohe, dünne Schrei des kleinen Tolan übertönte ihre Schritte, als sie zur Tür rannte – bis das Geräusch abrupt erstarb. Da fuhr Papa herum und stürzte mit einem entsetzlichen Aufschrei auf sie zu – aber Alissa war schon aus dem Zimmer und jagte die Treppe hinunter, bevor er sie einholen konnte. Sie war nur wenige Schritte vor ihm an der Haustür und zerrte verzweifelt an dem Griff, aber die Tür war verschlossen, und ein Kind hatte nicht genug Kraft, um den großen Schlüssel im Schloß

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