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Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Worte.
    Hadrian verlor sich in Morgans Büchersammlung, saß stundenlang am Feuer und sog die Geschichten antiker Imperien in sich auf, während Winterstürme über die Berge fegten. Wenn er nicht las, spielte er mit seinem Freund Schach oder Cribbage oder half ihm, seine alten Geräte instand zu setzen. Als sie eines Nachmittags die Figuren für eine weitere Partie Schach aufstellten, erkundigte Morgan sich danach,was Hadrian seit Jonahs Ermordung im Einzelnen herausgefunden hatte.
    »Es spielt keine Rolle, wie viele Schrotflinten sie haben«, stellte sein Freund fest und nahm einen Bauern. »Sie sind so sehr in der Minderheit, dass sie Carthage niemals gewaltsam einnehmen könnten. Das ist eine Täuschung, ein Ablenkungsmanöver. Genau wie der Raubüberfall.«
    »Raubüberfall?«
    »Ein Gewürz- und Kräuterladen wurde von zwei Männern mit Schrotflinten ausgeraubt. Sie haben alle Gewürze und das ganze Geld mitgenommen. Der Inhaber liegt mit einer Armwunde im Krankenhaus.« Sein Freund stand auf und holte eine Zeitung, deren Datum knapp drei Wochen zurücklag. »Die habe ich von einem Farmer bekommen, als ich bei ihm Honig geholt habe.« Hadrian überflog den Artikel. Er war in aufgeregtem Tonfall verfasst. Es hieß, erstmals seien bei einer Straftat Schusswaffen benutzt worden, und nun müsse unbedingt auch die Polizei bewaffnet werden.
    »Die haben den Laden mit Knüppeln kurz und klein geschlagen und nur einen einzigen Schuss abgegeben, nämlich auf die Schaufensterscheibe«, erklärte Morgan. »Der Inhaber wurde verletzt, weil er schützend vor sein Fenster gerannt ist. Die Redaktion will, dass die Polizei nun die Stadt auf den Kopf stellt, um eine bewaffnete Verbrecherbande auszuheben. Herrje, die beiden Maskierten dürften Carthage schon fünf Minuten nach dem Überfall verlassen haben.«
    »Maskiert?«
    Morgan nahm die Zeitung und suchte die entsprechende Stelle. »Hier. Laut einer Zeugenaussage. Die beiden hatten Masken auf dem Kopf, die alles von der Nase aufwärts bedeckt haben. Der Zeuge sagte, im ersten Moment habe er geglaubt, die zwei wären Schauspieler und auf dem Weg zur Probe für ein neues Stück.«
    Hadrian runzelte die Stirn. »Es
ist
Theater. Ein wohlüberlegtes Skript, verfasst von einem Mann namens Sauger. Er weiß genau, wie ein Drama funktioniert. Man muss den Bogen von einer Krise zur nächsten schlagen. Ein paar unbedeutende Personen zur Ablenkung einstreuen. Die Spannung aufrechterhalten, damit niemand Zeit hat, den Handlungsablauf vorauszuahnen. Buchanan begreift nicht, dass die immer genau wissen, was er tun wird. Er manipuliert die Zeitung, aber Sauger manipuliert ihn.« Er sah seinen alten Freund an. »Die hatten jede Menge Munition, haben sie aber nicht eingesetzt. Falls die Waffen bloß Requisiten sind, wieso schmuggeln sie dann so viele Patronen ein?«
    »Wenn es sich um ein Theaterstück handelt, ist vielleicht auch die Munition nur ein Requisit.«
    Die Unschlüssigkeit in Hadrians Miene wich Sorge. Ihm fiel ein, dass er in dem Laden, in dem die Patronen hergestellt wurden, kein Schießpulver gesehen hatte.
    »Falls ich erreichen wollte, dass die Polizei ihre Zeit darauf verwendet, nach einem Waffenlager zu suchen, während ich in Wahrheit etwas ganz anderes vorhabe, würde ich einfach mal lautstark die Waffen vorzeigen«, sagte Morgan. »Meine Güte, die Hälfte der Polizisten würde sich vor Angst in die Hose machen, falls sie davon ausgehen müsste, dass es diese Kriminellen waren, die ihnen all die Schrotflinten gestohlen haben. Ich nehme an, die Verfasser dieses Drehbuchs mögen überraschende Enden.«
    Hadrian stand auf und ging zu einem Regal. Darin lag die Kleidung, die er an Bord der
Anna
getragen hatte. Helen hatte all seine Habseligkeiten dort vor der Wand untergebracht. Bleistiftstummel. Sein Messer. Schreibfedern. Unter seinem gewaschenen und ordentlich zusammengelegten Taschentuch fand sich die Schrotpatrone, die er in Sankt Gabriel eingesteckt hatte. Der Wachskarton war etwas mitgenommen,aber noch fest. Hadrian reichte die Patrone an Morgan weiter. Der wog sie in der Hand und drückte die Seiten der Hülse. Dann zog er ein langes Messer und bog damit an der Spitze eine der zusammengepressten Laschen auf.
    Als sein Freund die geöffnete Patrone über seiner Handfläche ausschüttete, setzte Hadrians Herz für einen Schlag aus. Das Pulver darin war weiß. Es schimmerte bedrohlich im Schein des Feuers. Schweigend starrten sie es an.
    »Falls das hier so wirkungsvoll

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