Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Asche der Erde

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
Vom Netzwerk:
Verzweiflung angetroffen hatte. Nun musste die Frage eher lauten: Warum wollte er die Wahrheit überhaupt wissen? Wegen Buchanan? Wegen Nelly? Wegen der Kolonie, die ihm den Rücken gekehrt hatte?
    Er setzte sich auf einen Baumstamm, den man schon so oft als Bank genutzt hatte, dass er ganz abgewetzt war, und beobachtete, wie die Welt zum Leben erwachte, während die Sonne Stück für Stück über dem Rand des Planeten erschien. Aus der Bucht unter ihm stieg ein riesiger Gänseschwarm auf und setzte den Zug in den Süden fort. Ein einzelner Trawler legte vom Kai ab und dampfte in tiefere Gewässer davon. In der Ferne muhte ein Chor aus zahllosen Kühen, die gemolken werden wollten.
    Hadrian saß da und rief sich ein weiteres Mal ins Gedächtnis, wie die Schmuggler von hier aus ihre Signale gegeben hatten. Dann warf er einen Blick zurück auf den Pfad, der vom Hügel zu der Wohnung führte. Ein Signal von hier oben konnte auf einem Boot weit draußen gesehen werden, das für die Leute in der Stadt unsichtbar bleiben würde. Die Laterne rief vielleicht ein wartendes Schiff herbei, das dann in der kleinen Bucht unterhalb seine Fracht entlud, und zwar ebenfalls den Blicken der Stadt entzogen. Doch wozu die ganze Mühe? Waller hatte bestätigt, dass die Schmuggler ihre Waren ohne große Hemmungen zu den Anlegeplätzen der Fischer transportierten. Es war, als gäbe es inmitten desSchmugglerrings einen zusätzlichen Schleichhandel, eine Art Verbrechen innerhalb des Verbrechens.
    Die Müdigkeit übermannte ihn, und er schloss die Augen. Als er sie nach einigen Minuten wieder öffnete, saß eine schmale Gestalt in einem roten Hemd drei Meter vor ihm im Gras, unmittelbar am Rand der Klippe, und schaute aufs Wasser hinaus. Im ersten Moment konnte Hadrian sich nicht erklären, weshalb der Junge ihn aufsuchen sollte, aber dann wurde ihm klar, dass es gar nicht um ihn ging. Die Klippe gestattete einen einzigartigen und ungehinderten Ausblick auf die Stadt und das Meer, viele Meilen weit. »Ich wollte dir nicht deinen Sitzplatz wegnehmen, Dax«, sagte er.
    Der Junge zuckte die Achseln, ohne sich umzuwenden. Hadrian begriff, dass Dax ihn längst bemerkt haben musste und trotzdem geblieben war. Er stand auf und setzte sich neben ihn ins Gras.
    »Der alte Professor und ich sind öfter hier oben gewesen«, sagte Dax nach einem Moment. »Er hat mir die Namen von Vögeln, Bäumen und Sternen verraten und gesagt, man kann das Geheimnis einer Sache immer erst ergründen, wenn man ihren Namen kennt. Er hat mir auch die Namen von einigen der Berge auf dem Mond erzählt. Bei Vollmond haben wir ihn manchmal angeheult wie Wölfe. Einmal habe ich den Professor nach dem Grund gefragt, und da hat er gesagt, weil wir am Leben sind und die Welt das wissen soll.« Er zeigte auf einen weiteren, kleineren Schwarm weißer Vögel, der gerade vom Wasser abhob. »Schneegänse, die sich Fett für ihre Reise anfressen. Wenn sie letztendlich aufbrechen, fliegen sie Tausende von Meilen weit, hat Professor Beck gesagt. Er hat gesagt, dass sie Dinge sehen, die niemand in Carthage je zu Gesicht bekommen wird.« Dax’ Stimme war zu einem ehrfürchtigen Flüstern geworden.
    Hadrian wartete kurz ab und wies dann mit weit ausholender Geste hinaus auf das Wasser. »Früher hat man sie die Großen Seen genannt. Es gab fünf von ihnen. Das hier war einer der Kleineren.«
    Der Junge warf ihm einen zweifelnden Blick zu. »Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte er in ernstem Tonfall. »Falls es wahr wäre, würde ja gar kein Platz für das Land übrig bleiben.«
    Einige Minuten lang sprach keiner von ihnen ein Wort.
    »Gelegentlich kommen Männer hierher, Dax. Kurz vor Tagesanbruch. Mit einer Signallaterne. Hat Jonah davon gewusst?«
    Der Junge nickte langsam. »Er wusste fast alles.«
    »Hast du es ihm erzählt?«
    »Er hat sie mit seinem Teleskop gesehen.«
    Dax deutete auf einen Fischadler, der soeben aufs Wasser hinabstieß. Sie schauten dabei zu, wie der Vogel sein Frühstück zum Nest trug.
    Jonah wusste also von den Schmugglern. Hieß das, dass er auch von dem Waffen- und Munitionsvorrat wusste, der insgeheim in Carthage angelegt wurde? Hadrian erinnerte sich, dass Jonah die Ausgestoßenen erstmals als Rebellen bezeichnet hatte. »In der Stadt wurde jemand ermordet, Dax«, sagte er schließlich. »Ein Polizist. Die werden alle sehr wütend sein. Haltet euch von Kenton fern.«
    »Kenton weiß längst nicht so viel, wie er glaubt«, wehrte der Junge ab, wurde

Weitere Kostenlose Bücher