Die Asche der Erde

Gefallen an unseren Tätowierungen und unseren Frauen. Vor allem die Tätowierer haben es ihnen angetan. Die Erstgeborenen besitzen auf dem Gebiet Jahrhunderte an Erfahrung.« Sauger zuckte die Achseln. »Unsere Leute fingen an, sie punische Pilger zu nennen, die zu einer kurzen seelischen Erbauung das Kloster besuchen und dann zurück ins spießige alte Carthage fahren. Ich nehme an, sie befürchten, dass eine Preisgabe des Geheimnisses ihnen den Spaß verderben würde. Wir bleiben wirklich gern unter uns.«
    Sauger prostete Sebastian zu, der sein Glas leerte, nachdem er dem Gastwirt zögerlich zugenickt hatte. Nahm Hadrian in der Miene des Erstgeborenen etwa Argwohn wahr?
    »Doch Sie fanden es unfair, dass Carthage all seine Dampftrawler behält.«
    »Die
Anna
wurde nicht gestohlen. Sie hat lediglich den Heimathafen gewechselt.«
    »Aber sie gehört dem Leiter der Handels-Innung. Komisch, dass er nie Einspruch erhoben hat.«
    Das hatte gesessen. Saugers Grinsen verschwand, und Hadrian fuhr fort. »Ich glaube, Sie erzählen mir gerade, dass die
Anna
nach wie vor zu Fletchers Flotte gehört. Ungeachtet der ergreifenden Gedenkstätte auf unserem Friedhof kann ich mich aber noch gut erinnern, wie der Kapitän sich eine Träne aus dem Auge gewischt und den Kranz für ihre Toten niedergelegt hat.«
    Wie aufs Stichwort öffnete sich eine Tür, und der Mann, der zuvor mit der Blondine verschwunden war, kehrte allein zurück, die Weste in der Hand. Als er unter einer der hellen Deckenlaternen stand, schaute er für den Bruchteil einer Sekunde zu Hadrian und wandte sein Gesicht sofort wieder ab. Doch das hatte gereicht. Hadrian kannte ihn aus Carthage, aus der Zeit, als sie am Hafen die Besatzungen der ersten Dampfschiffe ausgebildet hatten. Die Haut des Totengräbers war dunkler als damals und inzwischen stark tätowiert, die Haare länger, aber Hadrian erkannte ihn trotzdem. Wheeler. Er war eines der vermissten Besatzungsmitglieder der
Anna
. Sein Name war in die Gedenktafel auf dem Friedhof von Carthage gemeißelt. Der Kinderchor hatte zum Andenken an ihn ein Lied gesungen.
    »Ich verstehe auch nicht ganz, weshalb Sie mich so überschwänglich begrüßt haben«, sagte Hadrian. »Es sei denn, Sie wollen sich zartes Fleisch für Ihren Schmortopf sichern.«
    Saugers Augen funkelten verschmitzt. Er spielte die Rolle des Gastwirts perfekt, aber allmählich sah Hadrian auch die gründliche Durchtriebenheit hinter der Fassade. »Wir genießen Ihre …« – er suchte nach einem Wort – »… Ihre Einzigartigkeit, Professor Boone.«
    Die beiden Männer schienen nicht dasselbe Gespräch zu führen. Hadrian zwang sich zu einem kleinen Schluck Wodkaund sah zu, wie die blonde Frau wieder auftauchte und diesmal Wade mitnahm. »Ich habe mich gefragt, ob ich vielleicht Ihren Bürgermeister sprechen dürfte. Oder Vorsitzenden. Den Leiter Ihrer Regierung.«
    »Ihr neuer Freund gefällt mir, Sebastian«, sagte Sauger zu dem Erstgeborenen. »Er redet nicht lange um den heißen Brei herum!«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Wir haben unsere Lektion gut gelernt. Es gibt bei uns keine Regierung. Wir leben zum gegenseitigen Vorteil. In gesellschaftlicher Symbiose. Jeder hier geht voll und ganz in seiner Rolle auf. Denken Sie mal zurück, mein Freund. Ist Ihnen denn noch nie aufgefallen, dass alle großen Probleme der Geschichte durch Regierungen verursacht worden sind?«
    »Doch nun rekrutiert Sankt Gabriel offenbar weitere Mitspieler«, erwiderte Hadrian. »Sie schicken Ihre Leute in die Camps. Es ist eine große Welt, wie man sagt, heute mehr denn je.«
    »Wir versuchen lediglich, neue Freundschaften zu schließen, wiederum zum gegenseitigen Vorteil.«
    »Oder Sie erfinden womöglich die Welt neu.«
    Sauger ignorierte den Kommentar und wies mit ausholender Geste auf seine Taverne. »Falls Sie einen Wunsch haben, brauchen Sie ihn nur zu äußern.«
    »Ich will den Mörder von Jonah Beck«, sagte Hadrian laut und deutlich.
    Ein Teil der Herzlichkeit wich aus Saugers Gesicht. »Der Mord an einem prominenten Bürger. Klingt nach einer inneren Angelegenheit von Carthage.«
    »Das dachte ich anfangs auch«, sagte Hadrian und zuckte die Achseln. »Aber wie Sie zu Recht angemerkt haben, muss ich meine Ansichten überdenken. Was ist, wenn unsere Probleme hier angefangen haben?« Nach einem Moment fügteer hinzu: »Und woher wussten Sie überhaupt, dass Beck ein prominenter Bürger war?«
    »Alte Zauberer werfen lange Schatten.« Sauger winkte der