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Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen

Titel: Die Asche meiner Mutter - Irische Erinnerungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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sie an dem Papier, und man hat noch Glück gehabt, wenn man halb soviel kriegt, wie einem zusteht. Und im ganzen Laden hat sie Bilder von der Jungfrau Maria und vom Allerheiligsten Herzen Jesu, und ständig rutscht sie außerhalb des Ladens in der Kapelle zum heiligen Joseph auf den Knien herum und klackert mit ihrem Rosenkranz und schnauft wie eine jungfräuliche Märtyrerin, die alte Schlampe.
    Nora sagt, ich komme mit, Missis. Ich bin derselben Mrs. McGrath zugeteilt, und ich merke, wenn sie Sie betrügt.

    Sie führt uns zu dem Geschäft in der Parnell Street. Die Frau hinterm Ladentisch ist nett zu Mam mit ihrem amerikanischen Mantel, bis Mam ihr die Bescheinigung vom Hl. Vincent de Paul zeigt. Die Frau sagt, ich weiß nicht, was Sie zu dieser Stunde des Tages hier zu suchen haben. Die Wohltätigkeitsfälle bediene ich erst nach sechs Uhr abends. Aber das ist jetzt bei Ihnen das erste Mal, und da mache ich eine Ausnahme.
    Sie sagt zu Nora, haben Sie auch eine Bescheinigung?
    Nein. Ich bin eine Bekannte, und ich helfe dieser armen Familie beim Einlösen ihres ersten Gutscheins der Gesellschaft vom Hl. Vincent de Paul.
    Die Frau legt ein Blatt Zeitungspapier auf die Waage und schüttet aus einer großen Tüte Mehl darauf. Als sie mit Schütten aufhört, sagt sie, bitte, ein Pfund Mehl.
    Glaub ich nicht, sagt Nora. Das ist aber ein sehr kleines Pfund Mehl.
    Die Frau wird rot und kuckt böse. Wollen Sie mir etwas unterstellen?
    Aber nein, Mrs. McCrath, sagt Nora. Ich glaube, da ist ein kleines Mißgeschick passiert, und Ihre Hüfte wurde gegen das Papier gedrückt, und Sie haben gar nicht gemerkt, daß dabei das Papier ein bißchen heruntergezogen wurde. Mein Gott,
nein. Eine Frau wie Sie, beständig vor der Jungfrau Maria auf den Knien zugange, ist uns allen doch Vorbild, und ist das da unten vielleicht Ihr Geld auf dem Fußboden?
    Mrs. McGrath tritt eilig einen Schritt zurück, und die Nadel von der Waage hüpft und zittert. Was für ein Geld? sagt sie, dann sieht sie Nora an – und weiß Bescheid. Nora strahlt. Muß eine Täuschung sein, ein Schatten, der auf die Waage fiel, sagt sie und lächelt die Waage an. Ein Fehler liegt allerdings vor, denn nun zeigt die Waage kaum ein halbes Pfund Mehl an.
    Immer Ärger mit dieser Waage, sagt Mrs. McCrath. Davon bin ich überzeugt, sagt Nora.
    Aber mein Gewissen ist rein vor Gott, sagt Mrs. McCrath.
    Davon bin ich überzeugt, sagt Nora, und in der Gesellschaft vom Hl. Vincent de Paul sind Sie Gegenstand allgemeiner Bewunderung.
    Ich versuche, eine gute Katholikin zu sein.
    Sie versuchen es? Gott weiß, daß Sie es nicht nur auf einen Versuch ankommen lassen, denn Ihr mildtätiges Herz ist wohlbekannt, und ich habe mich gerade gefragt, ob Sie wohl ein paar Bonbons für die kleinen Buben übrig haben. Tja, nun, ich bin zwar keine Millionärin, aber hier, bitte …
    Gott segne Sie, Mrs. McGrath, und ich weiß, daß es ein bißchen viel verlangt ist, aber könnten
Sie mir unter Umständen ein paar Zigaretten borgen?
    Tja, nun, sie stehen nicht auf dem Bezugsschein. Ich bin schließlich nicht dazu da, Sie mit Luxusgütern zu versorgen.
    Wenn Sie es doch ermöglichen könnten, Missis, würde ich Ihre Freundlichkeit ganz bestimmt gegenüber der Gesellschaft vom Hl. Vincent de Paul erwähnen.
    Na gut, na schön, sagt Mrs. McGrath. Hier. Einmal Zigaretten und nie wieder.
    Gott segne Sie, sagt Nora, und es tut mir leid, daß Ihnen diese Waage soviel Ärger gemacht hat.
    Auf dem Weg nach Hause kamen wir durch den Volkspark und setzten uns auf eine Bank, und Malachy und ich lutschten unsere Bonbons, und Mam und Nora rauchten ihre Zigaretten. Als Nora rauchte, hustete sie und sagte Mam, die Zigaretten würden sie letztendlich noch mal umbringen, und eine leichte Anlage zur Schwindsucht liege bei ihr in der Familie, und niemand lebe je lange genug, um ein reifes Greisenalter zu erreichen, aber wer wolle denn schon an einem Ort wie Limerick lange leben, einer Stadt, in der einem als erstes auffalle, wie selten man graue Haare sieht, da alle Grauhaarigen sich entweder auf dem Friedhof oder jenseits des Atlantiks befänden, wo sie bei der Eisenbahn arbeiteten oder in Polizeiuniformen herumstrolchten.

    Sie haben Glück, Missis, daß Sie ein bißchen was von der Welt gesehen haben. O Gott, ich würde alles geben, wenn ich mal New York sehen könnte, all die Menschen, wie sie unbeschwert den Broadway rauf und runter tanzen. Nein, ich mußte ja auf den Weltmeister der Pintstrinker

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