Die Asklepios Papiere (German Edition)
möglichen Orten mussten sich die beiden ausgerechnet diesen verfluchten Hafen aussuchen, wo es von Menschen nur so wimmelte. Selbst ein Profi wie er hatte hier kein einfaches Spiel.
„ Eine Bahnanbindung gibt es hier zum Glück nicht“, sagte Domino, die mittlerweile einen Lageplan des Hafens im Internet gefunden hatte. „Aber jede Menge Möglichkeiten, sich zu verstecken oder von hier zu verschwinden. Hier verkehren täglich tausende Fahrzeuge und hunderte Schiffe.“
„ Dann sollten wir die beiden besser nicht aus den Augen lassen“, grunzte Luc. Er blickte durch die Windschutzscheibe auf die ihm bekannten Gebäude und Krananlagen. Er hatte keine guten Erinnerungen an diesen Hafen. Im Gegenteil, ein schon beinahe körperlich fühlbarer Widerwille erfasste ihn, als Erinnerungsfetzen aufblitzten.
Vor etwas mehr als zehn Jahren war er schon einmal hier – genau an dieser Stelle. Als Jugendlicher; als ein im Banden- und Drogenmilieu gefangener Teenager, der sein altes Leben hinter sich lassen wollte.
„ Wehe, wenn du mich verarscht! “, hatte ihn der Polizist damals ermahnt, der in seinem Viertel für die Jugendlichen zuständig war.
„ Nein. Ich schwöre! Die Basill-Familie hat sich zu stark in das Geschäft der Triaden hineingedrängt. Sie sollen heute Abend am Hafen in eine Falle gelockt und hingerichtet werden! “ Luc hatte sich als Zeichen der Treue zu seiner Bruderschaft sogar einen Teil seines rechten kleinen Fingers abgetrennt. Doch nachdem sein Drachenkopf, der Führer und Meister seines Yakuzza-Clans, von ihm verlangte, seine eigene Schwester zu töten, weil sie drohte, Luc und seine Gefährten bei der Polizei zu verpfeifen, konnte er nicht anders. Er beschloss auszusteigen und ein neuen Leben anzufangen. Er vertraute sich der Polizei an und wollte den Morast der Banlieue endlich hinter sich lassen. Er erzählte einem Polizeibeamten namens Niemáns alles über die beabsichtigte Ermordung des gegnerischen Clans, die hier am Hafen stattfinden sollte. Für diese Information wollte Luc Schutz für sich, seine Familie und seinen besten Freund Patrick. Doch die Polizei hielt sich nicht an die Absprache. Während des Einsatzes geriet die Situation außer Kontrolle. In einem wilden Feuergefecht starben beinahe alle seiner ehemaligen Mitstreiter - auch Patrick. Weil auch vier Polizisten im Krankenhaus an ihren schweren Verletzungen starben, machte Niemáns Luc dafür verantwortlich. Um seinen eigenen Hintern zu retten, wollte er ihn sogar ins Gefängnis bringen und weigerte sich, seine Schwester unter den vereinbarten Polizeischutz zu stellen. Während Luc in Untersuchungshaft saß, wurde sie erwartungsgemäß kurze Zeit später kaltblütig hingerichtet.
In diesem Moment verlor die staatlichen Autorität jede Bedeutung für ihn. Ein Wink des Schicksals schickte ihm eine junge engagierte Staatsanwältin, die Luc als Aushängeschild für ein Resozialisierungsprojekt nutzen wollte. Geduldig ließ er jede Therapie über sich ergehen, wurde Gruppenbester und erhielt nach einem halben Jahr sogar die Chance, eine Ausbildung zum Polizeikommissar anzutreten. Auch hier wurde er Primus seines Jahrgangs. Niemand ahnte, dass er tief in seinem Inneren noch immer der wilde verbitterte Straßenjunge war, der schon bald mit einer Dienstmarke und Waffe zurückkehren würde.
„Die beiden steigen aus dem Auto“, riss ihn Domino aus seinen Erinnerungen.
„ Na dann lassen Sie uns die Sache ´mal beenden!“
N a klar, ein Boot! Das war doch die naheliegendste und einfachste Idee. Wieso war sie nicht schon früher darauf gekommen?
„ Was meinst du?“, fragte Hannah, „gibt es hier am Hafen eine Anlegestelle für eine Fähre oder ein Wasser-Taxi?“
„ Ich weiß nicht, ist ja eigentlich eher unwahrscheinlich, dass hier jemand mit dem Wasser-Taxi herkommt. Aber wir können uns ja mal umhören.“ Mit diesen Worten stiegen sie aus dem Auto und mischten sich unter die Händler. Hannah umklammerte krampfhaft ihre Handtasche mit Peters Unterlagen.
Über dem Podest des Auktionators hing eine große silberne Uhr. Hannah las die Zeit mit Unbehagen. Gleich sechs Uhr. Ihr Treffen mit dem Journalisten war aber erst um zehn Uhr. Selbst wenn sie es unbemerkt zurück bis zum Eiffelturm schaffen würden, hatten sie noch mehrere Stunden zu überbrücken. Eine verdammt lange Zeit, in der viel passieren konnte.
Lennard sprach einen älteren Fischhändler an, der gerade damit beschäftigt war, vier Kisten Austern zu
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