Die Asklepios Papiere (German Edition)
Geschichte mit PSU, Peter und dem Killer in einem Buch verarbeiten. Das wird bestimmt ein Bestseller.“
Hannah wusste nicht, ob Lennard die Idee ernst meinte oder sie nur auf den Arm nehmen wollte. Doch in der Tat eignete sich der Stoff wahrlich gut für einen formidablen Thriller. Wenn ihr Verleger wieder anrief, würde sie ihm die Idee vorschlagen. Doch ans Schreiben konnte und wollte Hannah erst wieder denken, wenn das Abenteuer überstanden war.
„Und was hat dich nach Paris verschlagen?“, fragte sie, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie bislang relativ wenig über Lennards Privatleben wusste. Wann, wenn nicht jetzt, war ein guter Zeitpunkt, ihn näher kennenzulernen?
„ Ein Forschungsstipendium“, entgegnete er. „Ich habe nach meinem Studium und der Promotion in Berlin an der Charité gearbeitet. Entwicklung von modernen Prothesen mit intelligenter Steuerung und so ein Zeug. Durch einen Zufall habe ich davon erfahren, dass an der Sorbonne ein Post-Doc-Studium genau für diesen Bereich angeboten wurde. Mein damaliger Chef hat mich beinahe angebettelt, hierherzukommen und meine Forschungsergebnisse weiterzuentwickeln. Kurz vor dem Abschluss rief mich dann vor drei Jahren der Institutsleiter zu sich und bot mir ein fünfjähriges Forschungsstipendium an. Und seither lebe und arbeite ich hier in Paris.“
„ Wieso Prothesen? Ich meine, das ist ja schon sehr speziell.“
Lennard sah Hannah an und schien zu überlegen, ob er antworten sollte.
„Also…na ja…irgendwie habe ich da leider einen privaten Bezug zu“, druckste er herum.
„ Oh, schon ok, wenn du nicht darüber sprechen möchtest.“
„ Doch, doch…es ist nur, ich habe darüber bisher nur mit ganz wenigen Menschen geredet.“
Hannah lächelte ihm aufmunternd zu.
„Ich habe eine Schwester...Annika“, begann Lennard schließlich zu erzählen. „Sie war schon immer ein wildes Huhn und suchte immer und überall den Nervenkitzel. Zu ihrem erfolgreich abgeschlossenen Studium habe ich ihr deshalb damals einen Bungeesprung geschenkt.“ Lennards schien die Erinnerung emotional so stark zu belasten, dass ihm sogar Tränen in die Augen schossen.
„ Ein seriöser Anbieter, alles TÜV-geprüft…und trotzdem ist die Verankerung an ihrem Fußgelenk gebrochen. Sie schlug ungebremst auf die Erde auf. Die Ärzte haben ihr noch in der Notaufnahme beide Beine amputiert.“
Lennard schnäuzte in sein Taschentuch. Hannah wusste nicht, wie sie reagieren sollte und griff einfach seine Hand.
„Ich weiß, dass es nicht meine Schuld war – aber trotzdem fühle ich mich verantwortlich. Ich habe mir damals geschworen, dass ich Annika wieder aus dem Rollstuhl heraushole. Ich habe deshalb mein Studium an der Filmhochschule in München geschmissen und mir vorgenommen, Ingenieur zu werden, um die besten Prothesen der Welt bauen zu können.“
Was für eine Tragödie. Hannah vermochte sich gar nicht auszumalen, welche Qualen Lennard als Bruder ausgestanden haben musste.
„Seither habe ich irgendwie ein Helfersyndrom. Ich glaube, ich nerve Annika schon, wenn ich andauernd neue Prototypen anschleppe. Aber…“, sein Blick hellte sich merklich auf, „ich habe es fast geschafft. Mittlerweile kann Annika beinahe wieder normal laufen und wir arbeiten gerade an einem Update der neuronalen Steuerung.“
„ Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, erwiderte Hannah und drückte seine Hand noch fester.
„ Du musst nichts sagen. Aber jetzt weißt du, weshalb mein Büro aussieht, wie das Schreckenskabinett von Dr. Frankenstein, der auch überall Arme und Beine rumliegen hat.“
Sie mussten beiden lachen. Die Metro steuerte mittlerweile den nächsten Haltepunkt an. Hannah hatte den Überblick darüber verloren, wo sie sich gerade befanden. Sie vertraute jedoch darauf, dass Lennard auch weiterhin genau wusste, wohin sie fuhren und wann sie aussteigen mussten.
Durch die geöffneten Türen strömte ein Schwall stickiger abgestandener Luft ins Innere des Waggons. Kurz bevor die Hydraulik die Tür wieder automatisch schloss, schlüpfte plötzlich ein Straßenmusiker herein. Ein älterer Mann mit Kleidern, denen man ansah, dass sie bereits mehrere Jahre auf dem Buckel hatten und etliche Wochen nicht mehr gewaschen worden waren. Mit einer Geige, die er gleichwohl virtuos zu bedienen wusste, stimmte er ein Medley aus wohlbekannten Klassikern an. Die Melodie klang zwar ganz angenehm, aber die unangenehme Lautstärke trübte das Hörvergnügen
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