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Die Aspern-Schriften (German Edition)

Die Aspern-Schriften (German Edition)

Titel: Die Aspern-Schriften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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sich nicht so verhält.«
    »Na ja«, sagte Miss Tina, »mir scheint, dass die forestieri in Venedig ganz allgemein eine Menge Geld für Dinge ausgeben, die im Grunde nicht viel wert sind.« Offenbar wollte sie mir mit dieser Bemerkung etwas Tröstliches sagen, wollte mir klarmachen, dass ich, selbst wenn ich allzu verschwenderisch gewesen sein sollte, mit dieser Dummheit nicht allein dastände. Gemeinsam durchschritten wir den Saal, und während ich seine grandiosen Proportionen auf mich wirken ließ, bemerkte ich zu ihr, dass dieser Raum wohl kaum zu meinem Quartier gehören würde. Befänden sich meine Zimmer wohl zufällig unter denen, die in die sala mündete n ? »Nicht, wenn Sie nach oben ziehen – in die zweite Etage«, antwortete sie, als hätte sie es für selbstverständlich gehalten, dass ich den mir zustehenden Platz kannte.
    »Daraus folgere ich, dass Ihre Tante mich gern dort sähe.«
    »Sie sagte, Ihre Wohnräume sollten deutlich von den unseren getrennt liegen.«
    »Das wäre sicherlich am besten.« Ich hörte ihr aufmerksam zu, als sie mir erklärte, ich hätte alle Freiheit, mir oben die Zimmer nach meinem Belieben auszusuchen; außerdem gebe es dort ein weiteres Treppenhaus, doch erst von der Etage aus, auf der wir uns befänden, und um von dort in den Garten zu gelangen oder hinaufzugehen zu meinen Wohnräumen, müsste ich den großen Saal durchqueren. Damit hatte ich einen enormen Fortschritt erzielt; ich sah voraus, dass dies der entscheidende Punkt in meiner Beziehung zu den beiden Damen werden würde. Als ich Miss Tina fragte, wie ich es jetzt anstellen sollte, den Weg nach oben zu finden, antwortete sie mit einem Anflug jener durchaus freundlichen Schüchternheit, die ihrem Verhalten ständig eigen war:
    »Das wird Ihnen wohl nicht gelingen. Ich glaube nicht, dass Sie sich zurechtfinden, es sei denn, ich ginge mit Ihnen.« Offenbar war sie vorher noch nicht auf den Gedanken gekommen.
    Wir stiegen ins obere Stockwerk hinauf und besichtigten eine lange Flucht von leeren Zimmern. Die schönsten lagen zum Garten hinaus; von ein paar anderen ging der Blick über die gegenüberliegenden Ziegeldächer hinweg auf die blaue Lagune hinaus. Die Zimmer waren alle staubig und etwas heruntergekommen, da sich lange niemand um sie gekümmert hatte, aber ich sah sofort, dass ich durch die Aufwendung von ein paar hundert Franken durchaus in der Lage wäre, drei oder vier davon auf angenehme Weise bewohnbar zu machen. Mein Experiment erwies sich zunehmend als kostspielig, aber jetzt, wo ich schon fast mein Ziel erreicht hatte, ließ ich keine Zweifel mehr in mir aufkommen. Ich zählte meiner Begleiterin ein paar der Gegenstände auf, die ich dort hineinstellen wollte, doch sie erwiderte recht hastig, hastiger als gewohnt, dass ich alles genau so machen könne, wie es mir beliebe: Dadurch wollte sie mich wohl wissen lassen, dass die beiden Damen Bordereau nur äußerst zurückhaltende Anteilnahme an meinen Vorhaben nehmen würden. Vermutlich hatte ihre Tante sie angewiesen, diesen Ton anzuschlagen, und heute kann ich sagen, dass ich erst später in der Lage war, genau zu unterscheiden (wie ich glaubte), welche Äußerungen sie aus eigenem Antrieb machte und welche die alte Dame ihr eingeflüstert hatte. Dass die Zimmer so verwahrlost waren, schien sie nicht weiter zu beachten, denn sie fühlte sich weder zu Erklärungen noch zu Entschuldigungen genötigt. Dies sei ein Zeichen dafür, sagte ich zu mir, dass Juliana und ihre Nichte – welch unerfreulicher Gedank e ! – unordentlich wären, als hätten sie sich bereits italienische Gepflogenheiten zu eigen gemacht; später machte ich mir jedoch klar, dass ein Untermieter, der sich den Einzug erzwungen hatte, keinen locus standi als Kritiker besaß. Wir schauten durch etliche Fenster hinaus, denn im Inneren der Räume gab es nichts, was man hätte anschauen können, und ich wollte meinen Aufenthalt noch hinauszögern. Ich fragte sie nach allen möglichen Bauwerken, die in unserem Blickfeld lagen, doch schien sie in keinem Fall eine Antwort zu wissen. Ganz offensichtlich war sie mit diesem Ausblick nicht vertraut – es kam mir vor, als hätte sie seit Jahren hier nicht mehr hinausgeblickt – und gleich darauf spürte ich, dass sie zu sehr mit etwas anderem beschäftigt war, als dass sie ein Interesse hätte vorgeben können. Plötzlich sagte sie – und diese Bemerkung war ihr nicht in den Mund gelegt worden: »Ich weiß nicht, ob sich für Sie dadurch etwas

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