Die Aspern-Schriften (German Edition)
ändert, aber das Geld ist für mich bestimmt.«
»Das Geld – ?«
»Das Geld, das Sie morgen bringen wollen.«
»Na wunderbar, dann sollte ich mir wohl wünschen, zwei oder drei Jahre hier zu bleibe n !« Ich zeigte mich so wohlwollend, wie ich nur konnte, doch allmählich ging es mir auf die Nerven, dass diese beiden Frauen, die so eng mit Aspern verbunden waren, ständig wieder die Geldfrage aufs Tapet brachten.
»Das wäre sehr vorteilhaft für mich«, antwortete sie fast fröhlich.
»Sie packen mich bei meiner Ehr e !«
Sie machte ein Gesicht, als hätte sie mich nicht verstanden, fuhr aber fort: »Sie möchte, dass es mir besser geht. Sie denkt, sie wird bald sterben.«
»Aber noch nicht so bald, hoffe ic h !« rief ich mit ehrlicher Anteilnahme. Ich erachtete es als durchaus im Bereich des Möglichen, dass sie an dem Tag, da sie ihr Ende nahen fühlte, die in ihrem Besitz befindlichen Dokumente zerstören würde. Bis dahin würde sie sich an sie klammern, so glaubte ich, und ich war fest davon überzeugt, dass sie jede Nacht in Asperns Briefen las oder sie zumindest an ihre verwelkten Lippen presste. Was hätte ich darum gegeben, einen Blick auf dieses feierliche Ritual werfen zu dürfen. Ich fragte Miss Tina, ob ihre ehrwürdige Verwandte ernstlich krank sei, und sie antwortete mir, dass sie nur sehr müde sei – schließlich habe sie so außerordentlich lange gelebt. Das seien die Worte, die ihre Tante selbst gesagt habe – sie wolle sterben, um eine Abwechslung zu haben. Außerdem seien all ihre Freunde schon seit Jahren tot; entweder hätten die am Leben bleiben sollen oder sie hätte abtreten müssen. Und noch etwas sagte ihre Tante häufig: Sie habe sich überhaupt nicht abgefunden – soll heißen, sich nicht damit abgefunden zu leben.
»Aber Menschen sterben nun einmal nicht, wenn sie es für richtig halten, nicht wah r ?« sagte Miss Tina halb fragend. Ich nahm mir die Freiheit, mich zu erkundigen, warum, wenn doch genug Geld vorhanden war, sie beide zu ernähren, nicht mehr als genug da sein sollte, falls sie, Miss Tina, allein zurückbliebe. Einen Moment lang dachte sie über dieses diffizile Problem nach und sagte dann: »Sie wissen doch, sie kümmert sich um mich. Sie denkt, wenn ich erst allein bin, werde ich mich wie eine Närrin anstellen und nicht wissen, wie ich zurecht kommen soll.«
»Ich hätte eher angenommen, dass Sie sich um Ihre Tante kümmern. Sie ist wohl mehr als stolz.«
»Haben Sie das auch schon herausgefunde n ?« rief Miss Tina mit einem Unterton freudiger Überraschung aus.
»Ich habe dort hinten eine ganze Zeit mit ihr allein verbracht, und sie hat einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Sie hat zutiefst mein Interesse geweckt. Ich habe nicht lange gebraucht, um dies herauszufinden. Sie wird nicht viel mit mir zu besprechen haben, solange ich hier wohne.«
»Nein, das glaube ich auch nicht«, stimmte meine Gesprächspartnerin mir zu.
»Haben Sie das Gefühl, dass sie mir misstrau t ?«
Miss Tinas ehrliche Augen gaben mir keinen Anhaltspunkt, dass ich ins Schwarze getroffen hätte. »Das kann ich mir nicht vorstellen – nachdem sie Ihnen den Zutritt doch so leicht gemacht hat.«
»Das nennen Sie leich t ? Sie hat sich sehr gut abgesichert«, sagte ich. »Gibt es denn etwas, womit man sie übervorteilen könnt e ?«
»Selbst wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen nicht sagen, ode r ?« Noch bevor ich darauf antworten konnte, fügte Miss Tina schmerzlich lächelnd hinzu: »Glauben Sie, wir hätten irgendwelche wunden Punkt e ?«
»Genau darauf richtete sich meine Frage. Sie müssten sie mir nur nennen, dann könnte ich sie gewissenhaft respektieren.«
Daraufhin sah sie mich mit jenem Ausdruck schüchterner, aber zugleich offenherziger und sogar entgegenkommender Neugierde an, mit dem sie mir von Anfang an begegnet war; dann sagte sie: »Dazu gibt es nichts zu sagen. Wir leben unglaublich ruhig. Ich weiß nicht, wie die Tage herumgehen. Wir haben kein Leben.«
»Ich wünschte, es wäre mir erlaubt, Ihnen ein wenig zu bringen.«
»Ich bitte Sie, wir wissen, was wir wollen«, erwiderte sie. »Es hat so seine Ordnung.«
Tausend Dinge hätte ich sie gern gefragt: Wie um alles in der Welt sah denn ihr Leben aus; hatten sie überhaupt Freunde und erhielten sie Besuch, gab es Bekannte und Verwandte in Amerika oder in anderen Länder n ? Doch solch ein Ausfragen hielt ich für verfrüht; ich musste es auf eine spätere Gelegenheit verschieben. »Nun gut, dann
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