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Die Aspern-Schriften (German Edition)

Die Aspern-Schriften (German Edition)

Titel: Die Aspern-Schriften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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Gelegenheiten, die die Tagesabläufe mit sich brachten, nicht zu einer Begegnung geführt haben sollten. Dies konnte nur heißen, dass sie enorm auf der Hut war, jedes Zusammentreffen zu vermeiden; außerdem war das Haus so groß, dass wir darin für einander unauffindbar waren. Gewöhnlich hielt ich in froher Erwartung nach ihr Ausschau, wenn ich beim Kommen und Gehen den großen Saal durchquerte, wurde aber niemals auch nur mit einem flüchtigen Blick auf den Saum ihres Kleides belohnt. Es war, als würde sie niemals einen Schritt vor die Tür der Wohnung ihrer Tante tun. Ich fragte mich immer wieder, was sie dort wohl Woche für Woche und Jahr für Jahr machte. Ein so striktes Reglement der Abschirmung hatte ich noch nie kennen gelernt; es war mehr als ein sich still Verhalten – es war, wie wenn gejagte Tiere sich tot stellten. Die beiden Damen erhielten offenbar niemals Besuch und unterhielten keinerlei Kontakt mit der Außenwelt. Zumindest ging ich davon aus, dass niemand in das Haus hätte gelangen können und Miss Tina es nicht hätte verlassen können, ohne dass ich etwas davon bemerkt hätte. Schließlich tat ich etwas, wofür ich mich selbst verachtete – was ich aber als einmaliges Vorkommnis betrachtete: Ich befragte meinen Diener nach den Gewohnheiten der Damen und gab ihm zu verstehen, dass ich an allem interessiert wäre, was er an Informationen für mich beschaffen könnte. Doch für einen durchtriebenen Venezianer brachte er erstaunlich wenig in Erfahrung: Allerdings muss man hinzufügen, dass dort, wo ständig gefastet wird, nur wenige Krumen zu Boden fallen. In anderen Hinsichten waren seine Fähigkeiten ausreichend, wenn auch nicht in allem, was ich ihm anlässlich meiner ersten Unterhaltung mit Miss Tina zugeschrieben hatte. Er hatte meinem Gondoliere geholfen, eine Bootsladung mit Möbeln herbeizuschaffen; und nachdem diese Gegenstände in das oberste Stockwerk des Palazzos hinaufgetragen und dort unseren gemeinsamen Vorstellungen entsprechend aufgestellt worden waren, führte er meinen Haushalt mit einer solchen Würde, wie man sie sich nur wünschen konnte angesichts der Tatsache, dass dieser Haushalt nur aus ihm bestand. Kurz gesagt, er machte es mir so bequem, wie ich es mit meinen ungewissen Aussichten nur haben konnte. Ich wäre froh gewesen, wenn er sich in Miss Bordereaus Dienstmädchen verliebt hätte oder, in Ermangelung eines solchen Gefühls, eine unwiderstehliche Abneigung gegen sie entwickelt hätte; beide Ereignisse hätten eine Katastrophe zur Folge gehabt, und eine Katastrophe hätte ein Gespräch herbeigeführt. Ich hatte die Vorstellung, das Dienstmädchen hätte gern Geselligkeiten gehabt, denn bei mehreren Gelegenheiten hatte ich sie für häusliche Besorgungen hierhin und dorthin huschen sehen, sodass ich fest annahm, sie sei für eine Werbung zugänglich. Doch aus dieser Quelle sprudelte es nicht, sodass keine Gerüchte zu mir drangen. Erst später erfuhr ich, dass Pasquales Gefühle bereits fest auf ein Objekt gerichtet waren, warum er anderen Frauen keine Beachtung schenkte. Dies war eine junge Dame mit gepudertem Gesicht, im gelben Baumwollkleid und mit viel freier Zeit, die ihn häufig besuchen kam. Wenn es ihr beliebte, übte sie die Kunst des Auffädelns von Glasperlen aus – diese Art von Zierrat wird in Venedig in Hülle und Fülle hergestellt; sie hatte ihre Tasche voller Perlen, und häufig fand ich welche in meiner Wohnung auf dem Fußboden – und hielt ein Auge auf die mögliche Rivalin im Haus. Natürlich war es nicht meine Sache, den Hausangestellten Grund zum Tratsch zu geben, und daher sagte ich nie ein Wort zu Miss Bordereaus Köchin.
    Ein Beweis für die Entschlossenheit der alten Dame, nichts mit mir zu tun haben zu wollen, lag für mich eindeutig darin, dass sie mir niemals eine Quittung für den Erhalt meiner drei Monatsmieten zukommen ließ. Mehrere Tage lang wartete ich darauf, doch nachdem ich die Hoffnung aufgegeben hatte, vergeudete ich eine Menge Zeit damit, mich zu fragen, warum sie wohl eine so unabdingbare und übliche Formalität unbeachtet ließ. Zuerst war ich in der Versuchung, sie durch eine schriftliche Note daran zu erinnern; doch dann nahm ich von dieser Idee wieder Abstand – gegen meine Überzeugung, was in einem solchen Fall angebracht gewesen wäre – und zwar, weil ich mich grundsätzlich ruhig verhalten wollte. Falls Miss Bordereau mich irgendwelcher Hintergedanken verdächtigte, würde sie mich weniger verdächtigen, wenn

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