Die Aspern-Schriften (German Edition)
Unruhe noch einmal daran zu denken, dass ich es nun aus ihrem eigenen Mund gehört hatte und sich damit mein Eindruck verstärkte, dass die alte Frau höchst durchtrieben war.
VII
Meine Befürchtungen, zu welchen Handlungen diese Seite ihres Charakters sie verleitet haben mochte, beunruhigten mich noch Tage später. Ich wartete auf eine Andeutung von Miss Tina; ich sah es geradezu als ihre Pflicht an, mich auf dem Laufenden zu halten, mich unzweifelhaft wissen zu lassen, ob Miss Bordereau ihre Schätze geopfert hatte oder nicht. Da sie keinerlei Lebenszeichen von sich gab, verlor ich die Geduld und beschloss, der Sache selbst nachzugehen und sie in Augenschein zu nehmen. An einem Spätnachmittag ließ ich anfragen, ob ich den Damen einen Besuch abstatten dürfte, und mein Diener kam mit einer überraschenden Nachricht zurück. Miss Bordereau könne ohne die geringsten Schwierigkeiten aufgesucht werden, sie sei in den Empfangssaal hinausgefahren worden und säße nun am Fenster, von dem aus man den Garten übersah. Ich ging hinunter und fand diese Beschreibung zutreffend; die alte Dame war in ihrem Rollstuhl in die Welt hinausgeschoben worden und erweckte den Anschein, was wohl vor allem von den etwas helleren Elementen in ihrer Kleidung herrührte, als sei sie erneut bereit, mit ihr in Kontakt zu treten. Doch noch hatte die Welt sich nicht um sie geschart; sie war vollkommen allein, und obwohl die Tür offen stand, konnte ich Miss Tina zunächst nicht entdecken. Über dem Fenster, an dem sie saß, lag der nachmittägliche Schatten, und da man einen Fensterladen aufgeschlagen hatte, konnte sie in den herrlichen Garten hinausschauen, in dem die Sommersonne zu dieser Zeit schon allzu viele Pflanzen hatte vertrocknen lassen, und sie konnte das Sonnenlicht und die langen Schatten sehen.
»Sind Sie gekommen, um mir zu sagen, dass Sie die Zimmer für weitere sechs Monate mieten möchten?« fragte sie, als ich auf sie zuging, und die Grobheit, mit der sie ihre Habgier vorbrachte, bestürzte mich so sehr, als hätte sie mir nicht schon einmal eine Kostprobe davon gegeben. Julianas Bestreben, unsere Bekanntschaft gewinnbringend zu nutzen, brachte, wie ich bereits hinreichend ausgeführt habe, einen falschen Ton in mein Bild von jener Frau, die einen großen Dichter zu unsterblichen Versen inspiriert hatte; doch kann ich hier mit aller Entschiedenheit sagen, dass ich trotz allem bereit war, sie mit größter Nachsicht zu behandeln. Schließlich war ich es gewesen, der die unheilige Flamme entzündet hatte; ich selbst hatte ihr in den Kopf gesetzt, dass sie über die Möglichkeiten verfüge, zu Geld zu kommen. Sie hatte offenbar niemals darüber nachgedacht; sie hatte jahrelang verschwenderisch in einem Haus gelebt, das fünfmal zu groß für sie war, in Lebensumständen, die ich mir nur dadurch erklären konnte, dass die ungeheure Raumfülle, die ihr zur Verfügung stand, vermutlich so gut wie nichts kostete und dass ihre Einkünfte, wie klein sie auch sein mochten, ihr für venezianische Verhältnisse doch einen annehmbaren Spielraum ließen. Und eines Tages hatte ich sie überfallen und ihr das Rechnen beigebracht, und meine recht seltsame Komödie bezüglich des Gartens hatte mich unverkennbar im Licht eines Opfers erscheinen lassen. Wie alle Menschen, denen das Wunder gelingt, noch spät im Leben ihre Ansichten zu ändern, war sie gründlich bekehrt worden; sie hatte meinen Hinweis mit verzweifeltem, zittrigem Griff aufgenommen.
Ich nahm mir die Freiheit, mir einen der Stühle zu holen, die in einiger Entfernung an der Wand standen – sie hatte keinen Gedanken daran verschwendet, ob ich sitzen oder stehen sollte; und indem ich den Stuhl vor ihr absetzte, begann ich fröhlich: »Verehrte, liebe Dame, was haben Sie für eine Vorstellung, zu welchem Höhenflug lassen Sie sich hinreiße n ! Ich bin ein armer Teufel von einem Literaten, der von der Hand in den Mund lebt. Wie sollte ich mir Paläste für ein ganzes Jahr leisten? Meine Existenz ist völlig ungesichert. Ich weiß nicht einmal, ob ich in sechs Monaten noch etwas zu Beißen haben werde. Einmal habe ich mir diesen Genuss gegönnt; es war ein enormer Luxus. Doch wenn es darum geht, dies fortzusetzen …!«
»Sind Ihnen die Räume zu teue r ? Wenn es so ist, können sie für das gleiche Geld mehr bekommen«, antwortete Juliana. »Wir können uns arrangieren, wir können combinare , wie man hier sagt.«
»Nun ja, wenn Sie mich schon fragen, sie sind zu teuer,
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