Die Aspern-Schriften (German Edition)
viel zu teuer«, sagte ich. »Offenbar halten Sie mich für reicher, als ich bin.«
Sie sah mich an, als blickte sie von ihrem Höhleneingang aus zu mir herüber. »Verkaufen Sie die Bücher, die Sie schreiben, nicht?«
»Sie meinen, ob die Leute sie nicht kaufen? Wenige, sehr wenige – nicht so viele, wie ich mir wünschte. Bücher schreiben ist, es sei denn, man ist ein großes Genie – und selbst dan n ! – der ungeeignetste Weg, um reich zu werden. Ich denke, mit guten Büchern ist kein Geld mehr zu verdienen.«
»Vielleicht suchen Sie sich keine erfreulichen Themen aus? Worüber schreiben Sie?« fuhr Miss Bordereau unbeirrt fort.
»Über die Bücher anderer Leute. Ich bin Kritiker, Kommentator, in gewisser Weise auch Historiker.« Ich war gespannt, worauf sie hinaus wollte.
»Und welche anderen Leute sind das?«
»Oh, bessere als ich: die großen Schriftsteller vor allem – die großen Philosophen und Dichter der Vergangenheit; diejenigen, die lange tot sind und nicht mehr für sich selbst sprechen können, die Ärmsten.«
»Und was schreiben Sie über sie?«
»Ich schreibe, dass sie sich manchmal mit sehr klugen Frauen verbunden habe n !« erwiderte ich wie zum Scherz. Ich hatte mein Risiko sehr wohl abgewogen, wie ich dachte, doch als meine Worte die Luft durchschnitten, kamen sie mir doch sehr unvorsichtig vor. Nun hatte ich sie aber vom Stapel gelassen, und es tat mir nicht Leid darum, denn vielleicht war die alte Frau nun doch zum Verhandeln bereit. Es war einigermaßen offensichtlich, dass sie mein Geheimnis kannte; warum also den Prozess noch in die Länge ziehen? Doch sie nahm meine Worte nicht als Eingeständnis; sie fragte nur: »Halten Sie es für richtig, in der Vergangenheit herumzustöbern?«
»Ich verstehe nicht recht, was sie mit herumstöbern meinen. Wie können wir an sie herankommen, wenn wir nicht ein wenig graben? Die Gegenwart hat eine so grobe Art, darauf herumzutrampeln.«
»Oh, ich mag die Vergangenheit, aber ich mag keine Kritiker«, erklärte meine Gastgeberin in ihrer harten Selbstgefälligkeit.
»Ich auch nicht, aber ich schätze ihre Entdeckungen.«
»Sind das nicht meistens Lügen?«
»Was sie manchmal entdecken, das sind die Lügen«, sagte ich und lächelte über die stille Unverfrorenheit meiner Bemerkung. »Oft decken sie die Wahrheit auf.«
»Die Wahrheit steht Gott zu, nicht den Menschen; wir sollten lieber die Finger davon lassen. Wer kann darüber urteilen? Wer vermag es zu sagen?«
»Wir tappen schrecklich im Dunklen, ich weiß«, räumte ich ein; »aber wenn wir uns nicht weiter bemühen, was wird dann aus all den wunderbaren Dingen? Was wird aus den Werken, von denen ich eben gesprochen habe, den Werken der großen Philosophen und Dichter? Es sind alles nur leere Worte, wenn es nichts gibt, woran man sie messen kann.«
»Sie reden, als wären Sie ein Schneider«, sagte Miss Bordereau belustigt; dann fügte sie schnell und in einer anderen Tonlage hinzu: »Dieses Haus ist äußerst angenehm; es hat wundervolle Proportionen. Heute wollte ich mir diesen Teil noch einmal ansehen. Ich habe mich hier herausbringen lassen. Als Ihr Diener gerade in dem Augenblick kam, um zu fragen, ob ich Sie empfangen würde, wollte ich soeben nach Ihnen schicken, um Sie zu fragen, ob Sie nicht noch länger hier wohnen wollten. Ich wollte mir ein Bild davon machen, was ich Ihnen zur Benutzung überlasse. Diese sala ist wirklich prachtvoll«, fuhr sie fort wie ein Auktionator und bewegte dabei, wie ich zu spüren meinte, ein wenig ihre unsichtbaren Augen. »Ich glaube kaum, dass Sie schon oft in einem solchen Haus gelebt haben, oder?«
»Das kann ich mir nicht leiste n !« sagte ich.
»Nun gut, wie viel würden Sie mir für sechs Monate biete n ?«
Beinahe hätte ich ausgerufen – und der gepeinigte Ausdruck in meinem Gesicht hätte verraten, dass es mir um ein moralisches Anliegen ging – »Tun Sie es nicht, Juliana, um seinetwillen, tun Sie es nich t !« Aber ich hielt mich unter Kontrolle und fragte weniger leidenschaftlich: »Warum sollte ich so lange bleibe n ?«
»Ich dachte, es gefiele Ihnen hier«, sagte Miss Bordereau mit der ganzen Würde ihrer Runzeln.
»Ja, das dachte ich auch.«
Einen Moment lang sagte sie nichts mehr, und ich ließ meine Worte auf sie wirken, wie immer sie sie verstehen mochte. Es wäre für mich nicht unerwartet gewesen, wenn sie mir nun in aller Kälte geantwortet hätte, dass wir das Gespräch nicht weiter fortzusetzen brauchten, wenn
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