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Die Aspern-Schriften (German Edition)

Die Aspern-Schriften (German Edition)

Titel: Die Aspern-Schriften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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Schoß um, mit dem Gesicht nach unten, und ich hörte sie um Atem ringen wie nach einer Anstrengung oder einer Flucht. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, gleich darauf zu sagen: »Sie würden das Bildnis eines Menschen kaufen, den Sie nicht kennen, und das von einem Künstler stammt, der völlig unbekannt ist?«
    »Der Künstler mag noch so unbekannt sein, aber das Bild ist wunderbar gemalt«, erwiderte ich, um mich zu rechtfertigen.
    »Zum Glück ist Ihnen das jetzt eingefallen, denn der Maler war mein Vater.«
    »Das macht das Bild in der Tat kostba r !« gab ich fröhlich zurück; und ich darf hinzufügen, dass meine Freude teilweise daher rührte, dass ich damit den Beweis für die Richtigkeit meiner Theorie über Miss Bordereaus Herkunft erhalten hatte. Zweifellos hatte Aspern die junge Dame kennen gelernt, als er ihrem Vater in dessen Atelier Modell gesessen hatte. Ich sagte zu Miss Bordereau, dass ich mich glücklich schätzen würde, darüber Erkundigungen einzuholen, sofern sie mir ihren kostbaren Besitz für vierundzwanzig Stunden überlassen würde; sie gab mir jedoch nichts anderes zur Antwort, als dass sie das Bild schweigend in ihre Tasche gleiten ließ. Das überzeugte mich noch mehr, dass sie nicht ernsthaft beabsichtigte, es zu ihren Lebzeiten zu verkaufen, vielmehr wollte sie sich offenbar vergewissern, welche Summe ihre Nichte, sollte sie es ihr hinterlassen, dafür zu gewärtigen hätte. »Nun gut, auf jeden Fall hoffe ich, dass Sie es nicht zum Verkauf anbieten werden, ohne mich davon in Kenntnis zu setzen«, sagte ich, da sie noch immer nicht auf meinen Vorschlag einging. »Bitte behalten Sie mich als möglichen Käufer im Gedächtnis.«
    »Erst möchte ich von Ihnen das Geld sehe n !« erwiderte sie mit unerwarteter Grobheit; doch dann, als hätte sie sich besonnen, dass ich mich wohl gegen einen solchen Ton verwahren würde und das Interesse an der Sache verlieren könnte, fragte sie unvermittelt, worüber ich mit ihrer Nichte spräche, wenn ich mit ihr ausginge wie neulich Abend.
    »Sie reden so, als hätten wir es uns bereits zur Gewohnheit gemacht«, antwortete ich. »Sicherlich wäre ich sehr froh, wenn es uns zur schönen Gepflogenheit werden sollte. Doch in diesem Fall hätte ich noch größere Bedenken, das Vertrauen einer Dame zu enttäuschen.«
    »Ihr Vertrauen? Hat meine Nichte Vertrauen?«
    »Hier ist sie – sie kann es Ihnen selbst beantworten«, sagte ich; denn in diesem Augenblick erschien Miss Tina auf der Türschwelle zum Salon der alten Frau. »Haben Sie Vertrauen, Miss Tina? Ihre Tante möchte es unbedingt wissen.«
    »Nicht in meine Tante, nicht in si e !« erklärte die jüngere der beiden Damen und schüttelte ihren Kopf mit einem schmerzlichen Ausdruck, der weder scherzhaft gemeint war noch vorgetäuscht wirkte. »Ich weiß nicht, was ich mit ihr machen soll; sie hat Anfälle von erschreckender Unvorsichtigkeit. Sie ermüdet so leicht, und dennoch hat sie damit angefangen, herumzuwandern und sich durch das Haus zu schleppen.« Und sie schaute wie geistesabwesend auf ihre langjährige Leidensgenossin hinab, als hätten ihr Zusammenleben und ihre gemeinsamen Gewohnheiten nicht dazu beigetragen, die Absonderlichkeiten der alten Dame zumindest gelegentlich leichter erträglich zu machen.
    »Ich weiß, was ich da tue. Ich verliere nicht den Verstand. Ich wage zu behaupten, das hättest du wohl gern«, sagte Miss Bordereau mit unverhohlenem Zynismus.
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie allein hier herausgekommen sind. Miss Tina wird Ihnen behilflich gewesen sein«, warf ich versöhnlich ein.
    »Ja, ja, sie bestand darauf, dass wir sie hier hinausschieben, und wenn sie auf etwas besteh t !« sagte Miss Tina immer noch in besorgtem Ton, als könne keiner wissen, zu welcher Dienstleistung, die sie nicht billigen könne, ihre Tante sie als nächstes zwingen würde.
    »Gott sei Dank sind die meisten Dinge so erledigt worden, wie ich es gewollt habe. Die Menschen, mit denen ich gelebt habe, haben mir meinen Willen gelassen«, fuhr die alte Frau fort, als spräche sie aus der kalten Asche ihrer Eitelkeit.
    Ich nahm es heiter auf. »Sie wollten wohl sagen, man habe Ihnen gehorcht.«
    » Wie immer man es nennen will – wenn sie einen möge n . «
    »Gerade weil ich Sie mag, muss ich mich Ihnen widersetzen«, sagte Miss Tina mit einem nervösen Lachen.
    »Oh, ich nehme an, als Nächstes bringen Sie Miss Bordereau die Treppe hinauf, um mir einen Besuch abzustatten«, fuhr ich

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