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Die Aspern-Schriften (German Edition)

Die Aspern-Schriften (German Edition)

Titel: Die Aspern-Schriften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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jedenfalls besser.«
    »Wenn das nicht so wäre, würde ich lieber den anderen behalte n !«
    »Wirklic h ?«
    Ich lachte erneut, doch statt einer Antwort erwiderte ich: »Wenn sie in der Lage ist, soviel herumzustöbern, dann kann sie die Sachen natürlich auch verbrannt haben.«
    »Warten Sie doch ab – warten Sie doch einfach ab«, sagte Miss Tina düster, als wollte sie mich bei meiner Moral packen; doch ihr Tonfall trug wenig dazu bei, meine Geduld zu fördern, denn es war auch herauszuhören, dass sie diese schreckliche Möglichkeit durchaus in Betracht zog. Ich würde mich in geduldigem Warten üben, erklärte ich trotz meiner Bedenken, denn erstens blieb mir nichts anderes übrig und zweitens hatte sie mir neulich Abend versprochen, mir zu helfen.
    »Wenn die Schriftstücke wirklich weg sind, dann gibt es daran nichts mehr zu rütteln«, sagte sie, jedoch nicht, um einen Rückzieher zu machen, sondern nur um ihrem Gefühl Ausdruck zu geben.
    »Natürlich nicht. Wenn Sie das nur herausfinden könnte n !« brachte ich stöhnend hervor und bebte dabei erneut.
    »Sie hatten doch versprochen zu warten.«
    »Sie meinen, sogar darauf soll ich warten?«
    »Worauf denn sonst?«
    »Ach, nichts«, antwortete ich ziemlich töricht, denn ich schämte mich, ihr zu gestehen, was ich dabei im Sinn gehabt hatte, als ich einer Wartezeit zustimmte – nämlich die Hoffnung, dass sie vielleicht mehr für mich tun würde, als nur den Stand der Dinge herauszufinden.
    Ich weiß nicht, ob sie so etwas vermutete; jedenfalls schien sie sich zu besinnen, dass es wohl angemessener sei, mir mit mehr Strenge zu begegnen. »Ich habe nicht versprochen, eine Täuschung zu begehen, oder? Ich glaube nicht.«
    »Es macht keinen großen Unterschied, ob Sie es versprochen haben oder nicht, denn Sie könnten es gar nich t !«
    Nichts ist wahrscheinlicher, als dass sie dem nicht widersprochen hätte, selbst wenn sie nicht von der Gondel des Arztes abgelenkt worden wäre, die wir in diesem Augenblick in den kleinen Kanal hineinschießen und auf das Haus zufahren sahen. Mir fiel auf, dass er sich so sehr beeilte, als glaubte er unsere Hausherrin noch immer in Lebensgefahr. Wir sahen ihm zu, wie er von Bord ging, und dann kehrten wir in die sala zurück, um ihn dort zu empfangen. Als er oben angekommen war, ließ ich Miss Tina natürlich mit ihm allein weitergehen, ich bat sie nur um die Erlaubnis, später noch einmal vorbeikommen zu dürfen, um den neuesten Stand zu erfahren.
    Ich ging aus dem Haus und marschierte los, weit fort, bis zur Piazza, doch auch dort verließ mich meine Ruhelosigkeit nicht. Ich fühlte mich nicht in der Lage, mich hinzusetzen; es war inzwischen sehr spät geworden, doch immer noch saßen Leute an den kleinen Tischen vor den Cafés: Ich konnte nur unruhig meine Kreise ziehen, und so ging ich wohl ein halbes Dutzend Mal um den Platz herum. Mein einziger Trost war, dass ich Miss Tina zumindest erzählt hatte, wer ich wirklich war. Schließlich machte ich mich wieder auf den Heimweg und verirrte mich schon nach kurzer Zeit ganz hoffnungslos, wie es mir immer geschah, wenn ich in Venedig zu Fuß unterwegs war: sodass es schon erheblich nach Mitternacht war, als ich vor meiner Haustür ankam. Der Empfangssaal oben war so dunkel wie immer, und als ich ihn durchquerte, war im Schein meiner Lampe nichts zu entdecken, was mich hätte beruhigen können. Ich war enttäuscht, denn ich hatte Miss Tina in Kenntnis gesetzt, dass ich noch einmal zurückkommen würde, um mir von ihr berichten zu lassen, und ich hatte gehofft, sie hätte mir als Zeichen ein Licht hingestellt. Doch die Tür zu der Wohnung der Damen war geschlossen; das mochte ein Hinweis darauf sein, dass meine wankelmütige Freundin bereits zu Bett gegangen war, weil sie nicht länger auf mich warten wollte. Ich war mitten im Raum stehen geblieben, überlegte und hoffte, sie würde mich hören und vielleicht herausschauen, denn ich sagte mir auch, dass sie niemals zu Bett gehen würde, solange ihre Tante sich in einem so kritischen Zustand befände; sie würde bei ihr sitzen und Wache halten, im Morgenrock auf einem Stuhl sitzend. Ich ging auf die Tür zu, hielt inne und lauschte. Kein Laut war zu hören, und schließlich klopfte ich leise an. Es kam keine Antwort, und nach einer Weile drehte ich den Türknauf. Das Zimmer war nicht beleuchtet; das hätte mich daran hindern sollen einzutreten, hatte aber nicht diese Wirkung. Wenn ich schon frank und frei über die

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