Die Aspern-Schriften (German Edition)
Schlepptau getroffen und gemeinsam mit ihnen, ganz wie es dem geselligen venezianischen Geist entsprach, den Rückweg angetreten, und nun war er ebenfalls auf der Schwelle zu dem Zimmer der padrona erschienen, wo ich ihn über die Schulter des Arztes schauen sah. Sofort gab ich ihm ein Zeichen, sich zurückzuziehen, zumal der Anblick seines neugierig dreinschauenden Gesichts mich daran erinnerte, wie wenig ich selbst dort zu suchen hatte – eine Ermahnung, die darin Bestätigung fand, dass der kleine Doktor mich mit scharfem Blick musterte, wobei er mir ganz so aussah, als hielte er mich für einen Rivalen, der schon vor ihm das Revier besetzt hätte. Er war ein kleingewachsener, dicker und energischer Mann, der den hohen Hut seines Berufsstandes trug und alles genau zu betrachten schien, nur nicht seine Patientin. Er behielt mich stets im Blick, als wäre er darauf gefasst, auch mich gleich zu verarzten, sodass ich mich schließlich verbeugte und ihn mit den Frauen allein ließ, um unten im Garten eine Zigarre zu rauchen. Ich war nervös; ich konnte mich nicht weiter wegbewegen; ich durfte das Haus jetzt nicht verlassen. Ich weiß nicht mehr genau, welche Art von Vorkommnissen ich befürchtete, doch schien es mir wichtig, dort zu bleiben. Ich schlenderte über die Gartenwege – der warme Abend war angebrochen –, rauchte eine Zigarre nach der anderen und behielt das Licht in Miss Bordereaus Fenstern im Auge. Sie waren jetzt geöffnet, wie ich sehen konnte; die Lage hatte sich verändert. Manchmal bewegte sich das Licht, jedoch nicht sehr schnell; es hatte nichts von Hast in einer Krisensituation. Lag die alte Frau im Sterben oder war sie bereits tot? Hatte der Arzt gesagt, in ihrem unwahrscheinlichen Alter könne man nichts anderes mehr tun, als sie in Ruhe gehen zu lassen? Oder hatte er einfach nur mit etwas bedächtigerem Blick verkündet, dass nun das Ende ihres Erdendaseins gekommen sei? Waren die beiden anderen Frauen nun damit beschäftigt, ihr die letzten Ehren zu erweisen, wie es in einem solchen Falle üblich ist? Es verursachte mir Unbehagen, dass ich nicht in der Nähe war, als fürchtete ich, der Doktor selbst könnte die Papiere an sich nehmen. Ich kaute fest auf meiner Zigarre herum, während mir wieder durch den Kopf fuhr, dass es vielleicht gar keine Schriften mehr gab, die jemand mitnehmen könnt e !
Ich wandert eine Stunde oder länger umher. Ich hielt Ausschau, ob sich Miss Tina nicht an einem der Fenster zeigte, denn ich hatte die vage Vorstellung, sie würde mir von dort aus vielleicht ein Zeichen geben. Müsste sie nicht die rote Glut meiner Zigarre im Dunkeln sehen und daraus schließen, dass ich mich dort aufhielte, um zu erfahren, was der Arzt zu sagen hatte? Vermutlich ist es eher ein Beweis für die Schwere meiner Befürchtungen, dass ich es selbst zu so später Stunde und mitten in der größten Veränderung, die einem Menschen widerfahren kann, für so gut wie sicher ansah, dass die gute Miss Tina auch dafür noch den Kopf frei hätte. Mein Diener kam herunter und berichtete mir, doch er wusste nur, dass der Arzt nach einer halbstündigen Visite wieder gegangen war. Wenn er sich eine halbe Stunde dort aufgehalten hatte, dann war Miss Bordereau noch am Leben: So lange konnte es nicht gedauert haben, ihren Tod festzustellen. Ich schickte den Mann aus dem Haus; es gab Augenblicke, da seine Neugier mir auf die Nerven ging, und jetzt war ein solcher Moment gekommen. Er hatte meine glühende Zigarrenspitze von einem oberen Fenster aus gesehen, Miss Tina hingegen nicht; er konnte nicht wissen, was ich im Schilde führte, und ich konnte es ihm nicht sagen, obgleich er vermutlich fantastische Theorien über mich entwickelt hatte, die er grandios fand und die ich, hätte ich sie genauer gekannt, wahrscheinlich beleidigend gefunden hätte.
Schließlich ging ich nach oben, stieg aber nicht höher als bis zur sala . Die Tür zu Miss Bordereaus Räumen stand offen und gab den Blick auf den Salon frei, der im Dämmerlicht einer kümmerlichen Kerze lag. Ich ging mit leisen Schritten darauf zu, und im selben Augenblick erschien Miss Tina und sah mich an, während ich näher kam. »Es geht ihr besser, ja, es geht ihr besser«, sagte sie, noch bevor ich fragen konnte. »Der Doktor hat ihr etwas gegeben; sie ist aufgewacht und wieder zu sich gekommen, noch während er hier war. Er sagt, es bestünde keine unmittelbare Gefahr.«
»Keine unmittelbare Gefahr? Sicherlich hält er ihren Zustand für erns t
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