Die Aspern-Schriften (German Edition)
Sie hätten sie mir gegeben, wenn Sie sie gefunden hätten?« und bei dieser Frage begann ich regelrecht zu zittern.
Sie zögerte mit der Antwort, und ich wartete. Plötzlich brach es aus ihr heraus: »Ich weiß nicht, was ich tun würde – oder was ich nicht tun würd e !«
»Würden Sie noch einmal nachschauen – an anderen Stellen?«
Sie hatte mit einer seltsamen, unerwarteten Gefühlsaufwallung gesprochen, und nun fuhr sie in demselben Ton fort: »Ich kann nicht – ich kann es nicht, solange sie dort liegt. Das schickt sich nicht.«
»Nein, das schickt sich nicht«, antwortete ich in ernstem Ton. »Lassen Sie die arme Frau in Frieden ruhen.« Diese Worte kamen mir nicht heuchlerisch von den Lippen, denn ich fühlte mich tatsächlich zurechtgewiesen und war beschämt.
Gleich darauf fügte Miss Tina hinzu, als hätte sie dies gespürt und empfände Mitleid mit mir, wollte mir zugleich aber klarmachen, dass ich sie bedrängte oder zumindest allzu sehr auf dieser Sache herumritte: »Ich kann sie nicht in dieser Weise hintergehen. Ich kann sie nicht hintergehen – wo dies vielleicht ihr Totenbett ist.«
»Da sei der Himmel vor, dass ich so etwas von Ihnen verlange, auch wenn ich mich selbst schuldig gemacht hab e !«
»Sie haben sich schuldig gemach t ?«
»Ich bin unter falscher Flagge gesegelt.« Ich hatte das Gefühl, ich müsste jetzt die Sache richtig stellen, müsste ihr erzählen, dass ich ihr einen falschen Namen angegeben hätte, weil ich befürchtet hatte, ihre Tante könnte von mir gehört haben und sich daher weigern, mich hier im Hause aufzunehmen. Dies alles redete ich mir von der Seele wie auch, dass ich tatsächlich etwas mit dem Brief zu tun hatte, der ihnen einige Monate zuvor von John Cumnor zugegangen sei.
Sie hörte mit großer Aufmerksamkeit zu, fast bekam sie vor Staunen den Mund nicht mehr zu, und als ich meine Beichte beendet hatte, sagte sie: »Und Ihr richtiger Name – wie lautet der?« Nachdem ich ihn ihr genannt hatte, wiederholte sie ihn zweimal, begleitet von dem Ausruf: »Du lieber Himmel, du lieber Himme l !« Dann setzte sie hinzu: »Ihr richtiger Name gefällt mir besser.«
»Mir auch«, entfuhr es mir, doch mein Lachen kam mir kläglich vor. »Pu h ! Welch eine Erleichterung, den falschen wieder los zu sein.«
»Dann war es ein richtiges Komplott – eine Art Verschwörung?«
»Na ja, Verschwörung – wir waren nur zu zweit«, antwortete ich, wobei ich natürlich Mrs. Prest aus dem Spiel ließ.
Sie überlegte; ich befürchtete, sie würde uns nun als hinterhältig und gemein bezeichnen. Aber das war nicht ihre Art, und nach einer Weile bemerkte sie, als sähe sie die Sache unvoreingenommen, unparteiisch: »Wie dringend muss Ihr Wunsch sein, die Dinge zu besitze n !«
»Oh ja, ich wünsche es mir leidenschaftlic h !« und dabei grinste ich, wie ich leider zugeben muss. Und nun ergriff ich die Gelegenheit, mich weiter vorzuwagen, wobei ich meine Bedenken vergaß, die mir kurz zuvor noch zugesetzt hatten. »Wie kann sie es bewerkstelligt haben, die Sachen an einen anderen Ort zu räumen? Kann sie denn überhaupt gehen? Wie kann sie ein solches Maß an körperlicher Anstrengung vollbringen? Wie kann sie es schaffen, Dinge hochzuheben und fortzutragen?«
»Ach, wenn man etwas vorhat und wenn man einen so starken Willen ha t !« sagte Miss Tina, als hätte sie über meine Frage selbst schon nachgedacht und sei selbst zu keinem anderen Schluss gekommen – in ihrer Antwort lag die Vorstellung, dass die alte Frau im Dunkel der Nacht oder in einem unbeobachteten Augenblick, als die Luft rein war, so einer übermenschlichen Anstrengung fähig gewesen war.
»Haben Sie Olimpia dazu befragt? Hat sie ihr vielleicht geholfen, hat sie es vielleicht für sie getan?« fragte ich; worauf meine Freundin sofort und entschieden antwortete, dass ihre Dienerin nichts mit der Sache zu tun gehabt hätte, jedoch gab sie nicht eindeutig zu, dass sie mit ihr gesprochen hatte. Sie kam mir jetzt ein wenig schüchtern vor, fast ein wenig beschämt, weil sie mir zu erkennen gegeben hatte, wie sehr sie sich auf meine Sorgen eingelassen hatte und wie sehr sie sich mit mir beschäftigte. Plötzlich sagte sie zu mir, ohne dass ein unmittelbarer Bezug zu erkennen war: »Fast kommen Sie mir wie ein neuer Mensch vor, wissen Sie, wo Sie jetzt einen neuen Namen haben.«
»Er ist nicht neu; es ist ein sehr guter alter Name, dem Schicksal sei Dan k !«
Sie schaute mich länger an. »Er gefällt mir
Weitere Kostenlose Bücher