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Die Aspern-Schriften (German Edition)

Die Aspern-Schriften (German Edition)

Titel: Die Aspern-Schriften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
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gewisser Weise auf sie aufpassen sollte. Sie erzählte mir, wie ihre Tante gestorben war, nämlich am Ende doch sehr friedlich, und wie danach alles durch den Beistand ihrer guten Freunde geregelt worden sei – glücklicherweise, sagte sie lächelnd, sei es ja mir zu verdanken, dass Geld im Hause gewesen sei. Sie erwähnte noch einmal, dass die »netten« Italiener, wenn sie einen einmal ins Herz geschlossen hätten, Freunde fürs Leben blieben, und nachdem wir ausgiebig darüber gesprochen hatten, befragte sie mich über meinen Ausflug, meine Eindrücke, meine Erlebnisse, die Orte, die ich besichtigt hatte. Ich erzählte ihr alles, was mir dazu einfiel, schmückte es aber teilweise aus, da ich leider in meinem verwirrten Zustand nur wenig von alledem mitbekommen hatte. Nachdem sie mir zugehört hatte, rief sie aus, als hätte sie ihre Tante und ihre Trauer ganz vergessen: »Meine Güte, wie gerne würde ich auch so etwas unternehmen – wie gerne würde ich eine unterhaltsame kleine Reise mache n !« Einen Moment lang überkam es mich, dass ich ihr eine Unternehmung vorschlagen sollte, zum Beispiel könnte ich sie an einen Ort begleiten, den sie gern aufsuchen würde; ich beschränkte mich aber darauf, ihr vorzuschlagen, dass ein kleiner Ausflug – damit sie etwas Abwechslung hätte – sicherlich arrangiert werden könnte: Wir würden darüber nachdenken und es noch einmal besprechen. Niemals ließ ich ein Wort über die Aspern-Dokumente verlauten, stellte keine Fragen, was sie darüber in Erfahrung gebracht hätte oder was sonst mit ihnen vor Julianas Tod geschehen sei. Nicht, dass ich nicht auf glühenden Kohlen gesessen hätte, etwas darüber zu erfahren, aber ich hielt es für geschickter, so kurz nach der Katastrophe nicht schon wieder Habgier an den Tag zu legen. Ich hoffte, sie würde von sich aus etwas dazu sagen, doch sie machte niemals auch nur eine Andeutung, was ich zum gegebenen Zeitpunkt für allzu verständlich hielt. Später in der Nacht ging mir allerdings durch den Kopf, dass ihr Verschweigen Grund zur Besorgnis gäbe; denn wenn sie schon von meinen Reiseunternehmungen gesprochen hatte, von etwas so fern liegendem wie dem Giorgione in Castelfranco, dann hätte sie auch, zumindest andeutungsweise, auf das kommen können, was mich am stärksten beschäftigte, wie ihr doch sicherlich im Gedächtnis geblieben war. Es war nicht anzunehmen, dass die Aufregung, in die sie durch den Tod ihrer Tante versetzt worden war, ihre Erinnerung daran ausgelöscht hatte, dass ich mich für die Andenken aus dem Besitz der Dame interessierte; und später machte mich der Gedanke ganz unruhig, dass ihre Zurückhaltung höchstwahrscheinlich nichts anderes zu bedeuten hatte, als dass keine Erinnerungsstücke mehr existierten. Noch im Garten gingen wir auseinander – sie sagte als Erste, dass sie nun hineingehen müsse; und da sie jetzt das piano nobile allein bewohnte, hatte ich das Gefühl (zumindest an venezianischen Vorstellungen gemessen), nun in einer ganz anderen Ausgangslage zu sein, was das Betreten dieser Räumlichkeiten betraf. Als wir uns zum Gutenachtgruß die Hand reichten, fragte ich sie, ob sie schon irgendwelche Pläne geschmiedet hätte, schon darüber nachgedacht hätte, was nun am besten zu tun sei. »Oh ja, natürlich, aber ich habe noch keine Entschlüsse gefasst«, antwortete sie geradezu fröhlich. Erklärte sich ihre Fröhlichkeit etwa dadurch, dass sie sich vorstellte, ich würde alles für sie regeln?
    Am nächsten Morgen war ich froh, dass wir praktische Fragen außer Acht gelassen hatten, denn so hatte ich einen Vorwand, sie so schnell wie möglich wiederzusehen. Eine dieser praktischen Fragen war wichtig genug, um sofort angeschnitten zu werden. Ich war es ihr schuldig, sie in aller Form wissen zu lassen, dass ich selbstverständlich nicht von ihr erwartete, mich weiterhin als Mieter zu behalten, und außerdem wollte ich ihr mein Interesse an der Bewältigung ihrer Lebensführung bekunden, ihr Auskunft geben, über wie viel Geld sie aufgrund der Mieteinnahme verfügen könnte. Doch war es mir nicht gegeben, als die Begegnung stattfand, mehr als ein paar Worte über diese beiden Punkte mit ihr zu wechseln. Ich hatte mich nicht durch eine Note bei ihr angekündigt; ich ging einfach hinab in die Empfangshalle und schlenderte dort hin und her. Ich wusste, sie würde herauskommen; sie würde sofort merken, dass ich ansprechbar war. Irgendwie zog ich es vor, nicht mit ihr in einem Zimmer

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