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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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die Hände bekommen, was Borund eingelagert hat …«
    Er ließ den Satz verhallen, und ich hörte, wie er abermals das Gewicht verlagerte.
    Nach langem Schweigen meinte Carl: »Ich kümmere mich um Borund … und seine Leibwächterin.«
    Ein kalter Schauder der Angst durchströmte mich, gefärbt mit Wut. Carl würde nicht aufgeben.
    Dann hörte ich weiter unten im Flur Schritte.
    Ich wirbelte herum und kehrte zum Bediensteteneingang zurück, schloss leise die Tür hinter mir. Aber erst, nachdem ich gesehen hatte, wie ein Diener ein Tablett mit einem Krug Wein und vier Bechern in den Raum trug.
    Ich verharrte an dem kleinen Eingang und überlegte, ob ich umkehren und Borund warnen sollte, dass mehr Händler als nur Carl darin verstrickt waren. Aber ich war wegen Carl hergekommen, und nun, da ich mit eigenen Ohren gehört hatte, wie er Borund drohte, konnte ich ihn nicht einfach davonkommen lassen.
    Borund vor den anderen zu warnen konnte warten.
    Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte ich die Treppe hinauf und verlangsamte oben im Flur die Schritte. Es war ein Bedienstetengang, schmaler als der Hauptgang; auch er erstreckte sich über die gesamte Länge des Hauses. Der Hauptgang im oberen Stockwerk verlief offenbar parallel dazu, getrennt nur durch eine Wand. Eine Tür zur Linken öffnete sich zum Hauptgang hin; die anderen Türen zur Rechten führten zu den Unterkünften der Dienerschaft.
    Carls Schlafzimmer war das nächstgelegene auf dieser Seite des Hauses, abseits vom Hauptgang.
    Ich zog die Tür zum Hauptgang auf und spähte hinaus.
    Nichts. Doch die Ranken des Feuers in meinen Eingeweiden züngelten ein wenig höher.
    Ich huschte hinaus in den oberen Gang, ging zu Carls Schlafzimmertür und trat ein.
    Der Raum enthielt ein Bett, eine große Truhe am Fußende, ein Schreibpult, zwei Schränke mit Schubladen und einen Steinkamin an der rechten Wand. Es waren keine Kerzen angezündet, dennoch zeichnete sich alles deutlich ab. Papier und ein kleines Messer, das zum Brechen von Wachssiegeln verwendet wurde, lagen auf dem Schreibpult, alles sauber und ordentlich. Auf die Truhe am Fußende des Bettes waren Kleider geworfen worden. Die Vorhänge der Fenster waren zugezogen und ließen kein Mondlicht ins Innere.
    Es gab keine Verstecke, keine Dunkelheit außer der im Zimmer selbst.
    Ich stellte mich neben die Tür und bereitete mich aufs Warten vor.

    Als Carl sich schließlich zur Nachtruhe zurückzog, hatte ich mich in eine kauernde Haltung niedergelassen, da meine Beine vom Stehen verkrampft waren. Ich hörte nicht, wie er sich näherte. Plötzlich öffnete sich die Tür, schwang weit zu meiner Seite auf und wäre mir beinahe gegen die Knie geprallt.
    Mit einer flüssigen Bewegung stand ich auf, spürte die Tür vor mir, die mich verbarg. Auf der anderen Seite seufzte Carl vor Erschöpfung, betrat sein Schlafzimmer und stieß die Tür hinter sich zu. Niemand sonst kam herein, und ich hörte auch niemanden auf dem Flur.
    Als die Tür zuschwang und den Blick auf Carl freigab, dermit dem Rücken zu mir stand, trat ich vor, hob den Dolch und zog ihm die Klinge über die Kehle.
    Carl krümmte sich nach vorn. Ein Übelkeit erregendes, gurgelndes Geräusch erfüllte den Raum, während ein Schwall Blut auf seine erhobene Hand, die Bettkante, die Kleider auf der Truhe und den Läufer auf dem Hartholzboden spritzte. Er taumelte einen Schritt nach vorn und stolperte auf ein Knie; dann verrenkte er sich, als er fiel, und streckte eine Hand nach der Truhe aus, um sich abzustützen.
    Ich trat vor, als er zusammenbrach. Sein Körper war mir zugewandt, die Augen weit aufgerissen in einem Ausdruck unsäglichen Grauens, das Gesicht im Mondlicht kalkweiß, das Blut wie ein schwarzes Tuch auf seiner Brust. Ich wollte, dass er mich sah, dass er mich erkannte. Ich wollte, dass er es wusste .
    Und er sah mich. Er zuckte zusammen, drückte die Schultern zurück, zog die Augenbrauen hoch.
    Wärme breitete sich in meiner Brust aus, tief und befriedigend.
    Einen Schritt entfernt von ihm kniete ich mich hin. »Du hättest Borund in Ruhe lassen sollen«, sagte ich, obwohl ich gar nicht an Borund dachte.
    Er sank auf den Arm, der die Truhe festhielt, und fasste sich mit der anderen Hand an die Kehle. Die Kraft wich aus seinem Körper. Er schauderte, verlor den Halt an der Truhe und fiel auf den Läufer. Das Blut bildete eine Lache und breitete sich rasch aus.
    Er nahm die Hand von der Kehle und streckte sie zitternd, greifend nach mir aus.

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