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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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fragte ich mich, was er mit Borund zu besprechen gehabt hatte. Doch ich sagte Borund gegenüber nichts. Das war seine Angelegenheit. Meine war Carl.
    Und ich war bereit.

    Ich stand neben dem Bett und starrte auf William hinunter, blickte in sein rundliches Gesicht, auf sein wirres Haar und seine im Schlaf geschlossenen Augen. Sein Atem ging wie ein leises Seufzen und war kaum hörbar. Selbst im Mondlicht, das durchsoffene Fenster fiel, konnte ich sehen, dass die graue Tönung seiner Haut in den zwei Wochen seit dem Angriff nachgelassen hatte. Er war immer noch schwach. Zwar konnte er sich im Raum umherbewegen, wenn er sich an Wänden und Möbeln abstützte, doch es bereitete ihm größte Schmerzen.
    Wut loderte in mir auf, als ich daran dachte, wie er das Gesicht verzogen hatte, als er das erste Mal zusammengebrochen war. Allein von der Anstrengung, sich aufzusetzen, war ihm der Schweiß übers Gesicht geströmt, und er war kreidebleich geworden. Als er versucht hatte, das Gewicht auf die Beine zu verlagern, die über die Bettkante baumelten, hatten sie unter ihm nachgegeben.
    Er hatte gestöhnt, als er stürzte, doch als er auf dem Boden aufschlug, weil Borund nicht schnell genug war, um ihn aufzufangen …
    Ich zuckte zurück, hörte erneut den Aufschrei, spürte noch einmal die Qualen. Und als ich tief Luft holte, roch ich den Gestank seiner Schmerzen – säuerlichen Schweiß und verrottetes Fleisch.
    Ich schüttelte mich. Die Wut hielt sich noch einen Augenblick, dann legte sie sich. Die Erinnerung an den Gestank verblasste zum Geruch des Salzwassers, als eine Brise vom Meer her durch die Vorhänge zum Fenster hereinwehte.
    William.
    Seine Stirn legte sich in Falten, sein Gesicht spannte sich. Schweiß glänzte auf seiner Haut, ein Arm zuckte.
    »Nein«, murmelte er. »Nein!«
    Ich streckte die Hand aus, hätte beinahe seine Wange berührt, hielt jedoch im letzten Augenblick inne.
    Irgendetwas krümmte sich in meinem Magen, und ich riss die Hand zurück.
    Ich rief mir ins Gedächtnis, wie er mich in der Schänke angeschaut hatte, nachdem ich jenen ersten Mann getötet hatte. Keine Furcht. Am Siel hatte ich die Furcht viele Male gesehen.Nein. William hatte mehr als Furcht, er hatte Todesangst. Vor mir. Davor, was ich zu tun imstande war, davor, was in mir steckte. Er hatte Angst vor dem, was ich war.
    Ich kauerte mich neben das Bett und rückte näher heran, sodass ich Williams Gesicht in der Dunkelheit besser erkennen konnte. Sein Gesicht war noch immer verzerrt, und aus der Nähe konnte ich ihn wimmern hören.
    Seit ich angeboten hatte, Carl zu töten, kam ich jede Nacht in sein Zimmer, und jede Nacht plagten ihn Albträume. Borund wusste das nicht, Lizbeth hingegen schon. Ich war nicht sicher, woher, denn ich achtete stets darauf, dass niemand sich in der Nähe befand, ehe ich kam, trotzdem wusste sie es irgendwie.
    Ich beugte mich noch näher und sagte leise: »Heute Nacht.«
    William schüttelte den Kopf und murmelte abermals: »Nein«, doch die Spannung um seine Augen verflog. Seine Stirn glättete sich, sein Atem ging ruhiger.
    Eine Zeitlang beobachtete ich ihn noch; dann schaute ich zum Fenster und hinaus in die Nacht.
    Heute Nacht.

    Gerrold ließ mich durch den Seiteneingang hinaus, durch den Borund und William mich einst ins Haus gebracht hatten. Ich stand im Schatten der Nische und starrte auf die Nebenstraße. Ich würde mich erst rühren, wenn die Patrouille vorübergezogen war.
    Ein paar Tage nach dem Anschlag auf Borund im mittleren Kreis erschienen Palastgardisten in der Stadt. Patrouillen in der Stadt waren kein ungewöhnliches Bild. Ich erinnerte mich an die Frau, die an jenem ersten Tag im wahren Amenkor einen Gardisten angehalten hatte. Auch später hatte ich Gardisten auf den Straßen beobachtet, einige beritten, andere zu Fuß. Doch nun, nach dem Anschlag auf Borund, wimmelte es überall vonGardisten. Ihre Patrouillen zogen in regelmäßigen Abständen durch die Straßen der oberen Stadt; ein paar durchkämmten auch den Kai und die Docks unten.
    Weder Borund noch ich wussten, wer den Befehl dazu gegeben hatte, Avrell oder Baill. Vielleicht war es auch die Regentin gewesen. Die Gardisten unternahmen nichts, ritten nur beobachtend vorbei, die Augen hart und kalt, während die Hufe ihrer Pferde klappernd übers Kopfsteinpflaster hallten. Worte wurden kaum gewechselt, es sei denn, sie gingen bei einem Kampf dazwischen. Aber man spürte sie.
    Statt Amenkor ein sichereres Gefühl zu vermitteln,

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