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DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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Verfügung, was ich benötigte: Kleidung, Essen, Unterkunft. Etwas anderes hatte ich nie gebraucht.
    Während ich auf die Beutel hinunterstarrte, wurde mir plötzlich klar, dass ich Borund nicht mochte.
    Ich schloss die Schublade und ließ den Blick flüchtig durch den Raum wandern; dann trat ich hinaus in den Flur und hielt, ohne nachzudenken, auf Williams Zimmer zu.
    William saß im Bett. Rings um ihn lagen Papiere verstreut. Er lächelte, als ich anklopfte und eintrat.
    »Varis«, sagte er mit erschöpfter, aber freudiger Stimme. Ich sah, dass seine Augen sich kaum merklich verändert hatten. Sie wirkten nicht mehr groß und offen, sondern klein und dunkel.
    Auch das konnte an der Erschöpfung liegen, doch ich glaubte es nicht.
    Sein Lächeln verblasste ein wenig, blieb jedoch auf seinen Lippen. »Komm nur herein. Ich brauche ohnehin eine Pause.«
    Ich trat ein paar Schritte vor, näherte mich aber nicht dem Bett.
    »Borund will, dass ich Alendor töte«, verkündete ich.
    Williams Lächeln erstarrte, dann erstarb es. Seine Schultern sanken herab, und er drehte den Kopf und schaute aus dem Fenster. Er hatte das Bett umstellen lassen, sodass er nun den Hafen und die Schiffe der Regentin sehen konnte, die den Eingang zur Bucht bewachten.
    »Und was hast du darauf erwidert?«, fragte er. Seine Stimme klang tonlos.
    Ich schluckte und stand stocksteif da. »Ich muss wissen, wo ich Alendor aller Wahrscheinlichkeit nach heute Abend antreffe. Borund meinte, ich soll dich fragen, weil du weißt, welche Herbergen und Schänken die meisten Händler besuchen.«
    Stille. William wandte sich mir nicht zu, nickte jedoch und seufzte leise, als hätte er sich letztlich mit etwas abgefunden, das er nicht hatte wahrhaben wollen. Mit leiserer Stimme als zuvor sagte er: »Alendor wird sich heute Abend in der Nähe der Lagerhäuser aufhalten. Für gewöhnlich überprüft er zuerst seine Vorräte und begibt sich dann zum Abendessen in den Gesplitterten Bug.«
    Ich nickte, wartete auf mehr, doch William blickte teilnahmslos auf den Hafen hinaus. Was ich von seinem Gesicht erkennen konnte, wirkte hart und verschlossen. Jedes Lächeln war daraus verschwunden.
    Ich wandte mich zum Gehen und spürte dabei einen Schmerz tief im Bauch, als hätte mich dort eine Klinge getroffen, sodass ich innerlich blutete. Und diese Blutung wollte nicht aufhören.
    Ich hatte die Tür fast erreicht, als William laut sagte: »Varis?«
    Ich blieb stehen und blickte durch die offene Tür auf den Gang hinaus. Williams Stimme verriet mir, dass er sich mir zugedreht hatte und mir in den Rücken starrte. Trotzdem drehte ich mich nicht um. »Was?« Es überraschte mich selbst, wie belegt sich meine Stimme anhörte.
    »Wie …«, setzte er an, fuhr jedoch nicht fort, fand die Worte nicht.
    Ich sah zu Boden und schloss die Augen; dann drehte ich mich entschlossen zu ihm um. »Als ich sechs war, wurde meine Mutter von zwei Männern getötet, als wir gerade auf dem Rückweg von einem Ausflug zum Nymphenbrunnen waren. Wir haben am Rand der Elendsviertel gelebt, in der Nähe des Siels. Zumindest vermute ich das, weil dort der Nymphenbrunnen ist. Aus der Zeit davor weiß ich nicht mehr viel.« Ich verstummte, sah in meinem Kopf die beiden roten Männer, hörte mich mitder unschuldigen Stimme eines Kindes sagen: Schau, Mami. Da sind rote Männer.
    Dann richtete ich die Aufmerksamkeit wieder auf Williams Gesicht, blickte in seine grünen Augen. »Sie haben sie für die paar Habseligkeiten getötet, die sie bei sich trug … ein paar Münzen wahrscheinlich. Mir haben sie nichts getan. Sie ließen mich bei Mutters Leiche in einer Gasse abseits einer Seitenstraße zurück, die ich nicht kannte. Ich wusste nicht, was ich tun, wohin ich gehen, wohin ich flüchten sollte, also blieb ich neben dem Leichnam meiner Mutter, bis die Gardisten kamen. Sie wussten auch nicht, was sie mit mir tun sollten, und versuchten eine Lösung zu finden, als eine Frau vorbeikam, die meine Mutter gekannt hatte, und sich erbot, mich bei sich aufzunehmen.« Ich schauderte. »Die Gardisten gaben mich ihr ohne großes Zögern. Was hätten sie sonst mit mir anstellen sollen? Eine Zeit lang lebte ich bei dieser Frau. Sie war kein schlechter Mensch, aber sie hatte bereits fünf eigene Kinder.«
    »Was war mit deinem Vater?«
    Sofort dachte ich an Erick und den mehlweißen Mann und verzog das Gesicht. »An meinen Vater erinnere ich mich nicht. Ich weiß nicht mehr viel aus der Zeit vor dem Nymphenbrunnen und

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