Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
DIE ASSASSINE

DIE ASSASSINE

Titel: DIE ASSASSINE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
Vom Netzwerk:
Flackern in seinen Augen, als ließe er etwas aus, als hätte er mich auf irgendeine Weise betrogen. Aber auch er hatte das Eingeständnis in meinem Tonfall gehört. »Es gibt niemand anderen. Du musst es tun.«
    Ich starrte sie alle an, einen nach dem anderen – Borund, Avrell und Erick. Irgendetwas stimmte nicht, etwas, das ich nicht erkennen konnte.
    Aber diesmal war es meine Entscheidung, meine Wahl.
    Ich seufzte tief und fragte: »Wie wollt Ihr mich in den Palast schaffen?«

D ER P ALAST
    Z wei Tage später fand ich mich in einer Nische des Palasts wieder. In die Schatten gezwängt, die Knie an der Brust, spähte ich einen von Ölschalen erhellten Flur hinunter. Ich war über den Gang unter der Mauer hereingekommen. Avrell hatte mir einen groben Plan des Palasts, Pagenkleider und den Schlüssel für einen Wäscheschrank gegeben. Ich sollte nicht gesehen werden. Niemand durfte erfahren, dass ich hier war, besonders nicht Baill. Und ich musste die Regentin noch in dieser Nacht töten. Die Schiffe mussten innerhalb der nächsten drei Tage in See stechen. Die Zeit wurde knapp.
    Kaum hatte ich die Jagd begonnen, sah mich eine Bedienstete und bat mich um Hilfe. Aber die Opfer waren nun meine Wahl, und nachdem ich ihr mit den Körben geholfen hatte, ließ ich sie gehen. Ich wartete, bis sie fort war; dann setzte ich mich in Richtung des Wäscheschranks in Bewegung.
    Ich durchquerte Gemächer, Gärten und Hallen. Ich schlich in den vertrauten Warteraum, duckte mich in die Schatten und lauschte, wie Avrell Nathem mitteilte, er habe den Tod der Regentin angeordnet. Nachdem sie gegangen waren, huschte ich weniger verstohlen, dafür schneller von Raum zu Raum, bis ich den Wäscheschrank fand. Avrell hatte mir davon erzählt – und von der Bogenschießscharte darin, durch die ich mich ins innere Heiligtum zwängen konnte, in den eigentlichen Palast.
    Ich hatte den Thronsaal betreten, den Geisterthron gesehen und ihm gelauscht.
    Und nun stand ich vor den Gemächern der Regentin, gekleidet in das Hemd und die Hose eines Pagen. Der Flur war hell erleuchtet. In jeder Ölschale flackerten die Flammen zischend empor. Der gesamte Palast war erhellt, jede Halle, jeder Gang, jeder Raum. Ich konnte das rege Treiben im Gebäude fühlenund die Suchtrupps wahrnehmen, die Audienzsäle, Hallen und Lagerbereiche durchkämmten. Ich konnte Gardisten und Bedienstete spüren – jeden, der unter Baills Kommando stand. Ich spürte sie, obwohl ich den Fluss zurückhielt, weil die Stimmen des Thrones zu stark und zu herrisch waren, um darauf zu vertrauen, ihnen unter der Oberfläche des Flusses widerstehen zu können. Seit dem Betreten des Palasts hatte ich den Fluss nicht mehr verwendet.
    Niemand stand vor den Gemächern der Regentin Wache.
    Ich zögerte nicht, obwohl mich ein Anflug von Zweifel überkam. Jemand hätte hier sein und Wache halten müssen. Avrell hatte mir gesagt, er würde Gardisten vor der Tür postieren. Aber es spielte keine Rolle. Ein Teil von mir wusste bereits, was ich vorfinden würde.
    Ich betrat die Räume, angefangen mit der Vorkammer, in der ich Vorhänge, verstreut liegende Kissen und Tische mit Obst, Getränken und Käsetellern erblickte. Geräuschlos schlich ich ins Schlafgemach, näherte mich dem verschleierten Bett, zog die Vorhänge zurück.
    Leer.
    Und dann begriff ich.
    Baill jagte nicht mich – er jagte die Regentin. Sie hatte sich erneut an den Wachen vor der Tür vorbeigestohlen, genau wie zuvor, und nun versteckte sie sich irgendwo im Palast.
    Ich wusste, wo sie war.
    Sie hatte mich die ganze Nacht gerufen. Ich hatte mich bloß geweigert, ihr zuzuhören.

D ER T HRONSAAL
    D er Gang zum Thronsaal war immer noch menschenleer. Ich trat vor die breiten Doppeltüren, ohne mich zu verbergen, aufrecht, mit geradem Rücken, die Klinge gezogen. Einen Augenblick stand ich vor den Holztüren und blickte auf die kunstvoll geschmiedeten Eisenbeschläge, auf die abgerundeten Metallnieten, mit denen sie befestigt waren, und auf die polierte Oberfläche des Holzes darunter. Es war unverkennbar altes Holz, dennoch schimmerte die Maserung immer noch mit einer inneren Wärme.
    Die Regentin erwartete mich im Innern beim Thron. Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen, aber ich wusste, dass sie hier war. Sie hatte mich mit den Stimmen – jenem trockenen Rascheln von Blättern – gerufen, seit ich das innere Heiligtum des Palasts betreten hatte. Avrell hatte gesagt, die Regentin könne spüren, wenn jemand sich ihr näherte,

Weitere Kostenlose Bücher