Die Assassinen-Prinzessin (German Edition)
über hohe und schmale Dächer. Er ließ sich nicht einmal von einer Brücke aufhalten, die von Soldaten überwacht wurde. Jene führte über eine besonders breite Stelle des teils oberirdisch teils unterirdisch durch die gesamte Stadt fließenden künstlichen Wasserkanals, der Aquädukt genannt wurde, in das Armen- und Bettlerviertel der Stadt. Er schlich am Rand des Kanals auf die hohe Bogenbrücke zu, begab sich ungesehen zu deren Unterseite und hangelte sich kopfüber auf die andere Seite des Aquädukts, wo er seinen Weg genauso ungesehen fortsetzte.
Aufgrund der Größe von Dangverun und der Notwendigkeit, nicht entdeckt zu werden, benötigte er etwa anderthalb Stunden vom Drachenpalast bis zu einem heruntergekommenen Haus, welches mehr einer Ruine glich als einem bewohnten Gebäude. Dort gönnte er sich einige Momente der Ruhe, um seinen Atem zu normalisieren und sich in der Umgebung umzusehen, bevor er ohne Anklopfen in das Haus eintrat – eine Tür existierte ohnehin nicht. Der verstaubten Eingangshalle, die mit verrotteten Holzmöbeln bestanden war, schenkte er keine große Aufmerksamkeit, sondern verließ sie gleich wieder durch einen weiteren, türlosen Türrahmen an ihrem anderen Ende. Dem sich anschließenden Gang folgte er bis zu dessen Ende, wo er auf der rechten Seite diesmal durch eine richtige Tür zu einer schmalen steinernen Treppe gelangte, die in den Keller des Gebäudes führte. Selbst seine scharfen, an die Nacht gewöhnten Augen konnten während all dem fast nichts erkennen, aber er machte sich dennoch nicht die Mühe, eine Kerze oder eine Fackel zu entzünden. Er kannte seinen Weg im Schlaf. Am Ende der Treppe durchquerte er einen kleinen Raum, den er durch eine Geheimtür verließ, deren Öffnungsmechanismus er über einen versteckten Schalter in der Wand aktivierte.
Nachdem sich der geheime Durchgang hinter ihm geschlossen hatte, wurde vor ihm eine Lichtquelle entfacht, die ihn sofort blinzeln ließ und ihm Tränen in die Augen trieb, obwohl er genau gewusst hatte, dass sie erscheinen würde. Im nächsten Moment konnte er kalten, scharfen Stahl an seiner stoffbedeckten Kehle spüren.
"Wer bist du und was ist dein Begehr?", fragte ihn eine zischende weibliche Stimme, während sich seine Augen langsam an die veränderten Lichtverhältnisse gewöhnten.
"Die Gilde kennt mich unter dem Namen Todeshand", antwortete Dynoran ohne jegliche Furcht, da er dieses Prozedere bereits viele Male durchlaufen hatte. "Ich bin gekommen, um mit dem Gildenmeister zu sprechen"
"Ich kenne deinen Namen, Bruder", antwortete die vor ihm stehende Frau, die ebenfalls vollkommen in schwarze Kleidung gehüllt war und ihm noch immer einen Dolch an die Kehle hielt, weiterhin in zischendem Tonfall. "Jedes Mitglied der Gilde kennt diesen berühmten Namen und dein Besuch ehrt uns. Doch dein Kommen wurde mir nicht angekündigt."
"Das liegt daran, dass ich zu kurzfristig von der Notwendigkeit eines Besuchs an diesem Ort erfahren habe, um vorher eine Nachricht zu schicken", antwortete Dynoran gelassen, während er mit einem Finger vorsichtig den Dolch von seinem Hals entfernte. "Eben diese Notwendigkeit verlangt jedoch ein persönliches Gespräch mit dem Gildenmeister."
"Warte hier!", trug die Frau ihm auf, während sie ihren Dolch wegsteckte und den kleinen Raum, in welchen die Geheimtür mündete, durch eine stählerne, offenstehende Tür verließ.
Kurze Zeit später kehrte sie zurück und nickte ihm zu.
"Der Gildenmeister ist bereit, dich zu empfangen. Auch wenn ich die Bedeutung deines Gildennamens kenne, muss ich dich vorher dennoch fragen, ob du Waffen bei dir trägst."
"Ich trage keine Waffe außer mir selbst und lasse dies gerne prüfen", antwortete Dynoran mit einer festgeschriebenen Formel.
"Dann tritt vor und hebe deine Arme mit geöffneten Handflächen zur Seite, Bruder!", erwiderte die Frau.
Als der Prinz dieser Aufforderung nachgekommen war, durchsuchte sie ihn am ganzen Körper ausführlich nach versteckten Waffen.
"Du hast die Wahrheit gesprochen und darfst in die Heiligen Hallen des Todes eintreten", sprach die Frau schließlich, als sie ihre Durchsuchung abgeschlossen hatte.
Dynoran trat daraufhin wortlos durch die offenstehende Stahltür und fand sich nach einem langen, vollkommen runden Tunnelgang in einem kuppelförmigen Raum wieder, welcher größer als der Thronsaal von Dynorans Vater war. Der Raum wurde von einer Reihe von Fackeln erleuchtet, die in regelmäßigen Abständen in goldenen
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