Die Assistentin
später bedauerst, manches nicht gesagt zu haben.”
“Ich bedaure dieses Gespräch.”
Verzagt dachte sie, dass sie vielleicht nie zu ihm durchdringen würde. Dass sie niemals jene Verbindung würde herstellen können, nach der sie sich sehnte, ohne zu wissen, was es genau war. Was wollte sie von Rick Bayless? Warum konnte sie ihn nicht in Ruhe lassen? Auch sie fürchtete sich vor Verlust. Sie wollte ihn nicht lieben und ihn dann verlieren. Durch seine abweisende Haltung bot er ihr einen Ausweg, eine Freikarte. Sie war ihm gegenüber zu nichts verpflichtet, das wollte er ihr zu verstehen geben. Er wollte nicht einmal, dass sie sich zu sehr um ihn kümmerte.
“Was, wenn du es wärst?”, sagte sie und kam sich furchtbar ungeschickt vor.
“Wenn ich was wäre?”
“Was, wenn du der Kerl wärst, wegen dem ich traurige Musik höre?”
“Der Kerl, der Frauen Liebeskummer bereitet?”
“Nein. Der, auf den das Mädchen wartet.”
“Und du bist das Mädchen?”
Leise fluchte er: “Du hast es immer noch nicht begriffen, nicht wahr? Dieser ganze Mist über das Lebendigsein, solange du lebst – das ist doch nur der Versuch, der harten kalten Tatsache nicht ins Auge blicken zu müssen, dass ich mir bald das Gras von unten anschaue. Futter für die Würmer.
Das
ist das Loch, Lane. Das ist das große schwarze leere Loch, von dem du geredet hast.”
“Ich weiß alles über dieses Loch”, verteidigte sie sich. “Ich lebe darin, seit mein Vater gestorben ist. Man muss nicht sterben, um tot zu sein. Ich
war
tot. Und sieh dich doch an. Du läufst schon herum wie ein Geist.”
Doch manche Dinge konnten einfach nicht wieder in Ordnung gebracht werden. Vielleicht versuchte sie, die Tatsachen zu ignorieren – oder irgendwie wiedergutzumachen, dass sie nicht bei ihrem Vater gewesen war, als er starb. Aber es gab eine unausweichliche Wahrheit. Rick würde sterben, und sie konnte nichts daran ändern. Dieser Gedanke zerriss sie. Die Ungerechtigkeit machte sie wütend – und zum Teufel, am liebsten würde sie auch davonlaufen. Niemand freute sich auf diese Art von Schmerz. Sie würde alles tun, um sich selbst davor zu schützen – außer ihn von sich zu stoßen.
Sie sollten sich aneinanderklammern und so viele Gefühle wie möglich in jeden einzelnen Augenblick packen. Sie sollten nicht einfach nur leben, sondern ihre Herzen öffnen und zu fliegen beginnen. Aber er würde das nicht zulassen, das wusste sie. Er wollte keinen Ballast, nichts, was er zurücklassen müsste. Sie rollte die Finger zusammen und merkte, dass er ihre Hand losgelassen hatte.
35. KAPITEL
L autlos schlich Simon Shan den unbeleuchteten Flur entlang. Seine Füße waren nackt und seine Bewegungen langsam. Es war Sonntagabend, bereits nach Mitternacht. Am Dienstag würde er sich mit seinen Anwälten treffen, aber er war zu abgelenkt, um sich darauf vorbereiten zu können. Er schlug sich in Gedanken immer noch mit den Nachrichten auf ihrem Handy herum. Was hatten sie zu bedeuten? Er wusste nicht, ob er Jia jetzt damit konfrontieren sollte. Oder sollte er lieber warten, bis er den endgültigen Beweis hatte, dass sie der Giganten-Killer war?
Vor Stunden schon war sie mit den Einkäufen zurückgekommen, die er ihr aufgetragen hatte. Unter der Tür sah er einen schmalen Lichtschimmer, sie war also noch wach. Er fragte sich, wann Bodyguards eigentlich schliefen. Sie zumindest schien es nie zu tun. Soweit er erkennen konnte, machte sie nie ganz normale Sachen, wie essen, schlafen oder auf Toilette gehen. Es sei denn, sie wartete stets damit, bis er eingeschlafen war. Manchmal fragte er sich, ob sie überhaupt ein Mensch war. Sie hatte eine erstklassige Ausbildung und war zu allem in der Lage, einschließlich zu töten. Aber wer war sie, wenn sie nicht als Leibwächterin arbeitete?
Er lauschte an der Tür. Überrascht nahm er Anzeichen von Leben wahr. Es klang, als würde jemand etwas murmeln, aber das Geräusch war so leise, dass er nicht sagen konnte, ob es ihre Stimme war oder etwas anderes. Er hatte sie noch nie den Fernseher oder das Radio benutzen sehen. Telefonierte sie vielleicht? Oder hatte sie gar Besuch?
Es gab keine Möglichkeit, ihr Zimmer zu verwanzen oder eine Überwachungskamera zu installieren. Sie würde es sofort merken. Aber dieses Mal hatte er nicht die Absicht, höflich an ihre Tür zu klopfen. Er wollte sie überraschen. Allein aus diesem Grund hatte er die Tür nicht abgeschlossen.
Er öffnete die Tür weit genug, um
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