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Die Astronauten

Die Astronauten

Titel: Die Astronauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete, schoß Arsenjew zum zweitenmal. Scherben klirrten schrill und durchdringend. Wir warteten einige Minuten, bis sie abgekühlt waren. Arsenjew trat als erster in den erweiterten Teil des Tunnels. Plötzlich blieb er stehen und hob warnend die Hand.
    »Vorsicht!«
    Aus der Tiefe kam ein leiser Luftzug. Dann war es für eine Weile vollkommen still. Gleich darauf bewegte sich die Luft wieder, aber in entgegengesetzter Richtung.
    »Atem«, flüsterte ich unwillkürlich.
    Diese Luftzüge wiederholten sich regelmäßig. Arsenjew stand nachdenklich da und überlegte, was wir beginnen sollten, dann sagte er leise: »Den Strahlenwerfer ...«
    Ich lockerte den Schulterriemen, wickelte ihn um das Handgelenk und hielt mich so dicht hinter Arsenjew, daß ich seinen Rücken berühren konnte.
    Plötzlich wurde es dunkel um mich. »Bücken Sie sich!« raunte mir Arsenjew zu. »Hier wird es eng!«
    Das Rauschen der Luft, die uns umströmte, zog immer näher. Es war genau die Zeitspanne eines langsamen Ausatmens. Arsenjew stieß mit dem Rucksack an die Decke. Er versuchte sich durch den Gang zu zwängen, trat aber dann einen Schritt zurück. Mit seinen breiten Schultern versperrte er den ganzen Durchgang. Ich streckte die Hand aus. Er löste die Gurte.
    »Halten Sie meinen Rucksack«, bat er mich, »ich muß ihn abnehmen, sonst komme ich nicht durch.«
    Ich spürte, wie die Gurte meine Hand herunterzogen. Es wurde wieder hell. Arsenjew war verschwunden. Ich machte einen Schritt vorwärts. Das dumpfe Rauschen schwoll plötzlich an. Zwei Meter vor mir lag, von violettem Licht erfüllt, ein riesiger Raum. Wir standen in einer Öffnung, die vor einer steil abfallenden Wand endete.
    Es war das Innere einer ungeheuren Kugel. Runde, dunkle Höhlen in gleichmäßig übereinander angeordneten Kreisen gähnten wie die Logen eines unheimlichen Theaters in der Wandung der Kugel. Mit dem Zenit der Kuppel waren sie durch gläserne Spalten verbunden. Diese strahlten das violette, pulsierende Licht aus, das von dunkler Glut in heftiges, grelles Aufflammen überging. Ich blickte in die Tiefe und packte Arsenjew am Arm, Beinahe hätte ich das Gleichgewicht verloren. Sonst bin ich schwindelfrei, aber hier – gab es keinen Boden. Dort unten wälzten sich dunkle, schlüpfrig schimmernde, feuchte, verworrene, von silbrigen Furchen durchzogene Formen übereinander und durcheinander wie Tausende Seehunde in einem Bassin, aus dem man das Wasser abgelassen hat. Die breiige schwarze Masse floß nicht, sie schob sich aus den unter uns liegenden Öffnungen und ergoß sich, nein glitt in das Becken. Zeitweise glich sie Armen, die sich an die Öffnung klammerten, besonders, wenn der Spiegel in dem Sammelbecken tiefer sank. Dann wurden die Rinnsale dünner, manchmal rissen sie sogar ab; aber gleich darauf summte es in der ganzen Masse, sie schwoll an, stieg höher und höher, die Fetzen wanden sich in der Luft wie Schlangenleiber und fügten sich wieder aneinander.
    Lange standen wir am Rande dieses Hexenkessels. Die Luftströmte auf und ab, immer den Bewegungen der schwarzen Masse folgend. Und im gleichen Rhythmus flackerte auch das violette Licht.
    »Plasma«, flüsterte ich. »Das Plasma des lebenden, schwarzen Flusses ...«
    »Ja«, entgegnete der Astronom, »das gleiche. Aber es ist nur Werkzeug.«
    »Wieso denn Werkzeug?«
    »Nun, wenn wir an die Erzeugung der Elektrizität denken, so sehen wir Maschinen, Dynamos, Atomsäulen. Es geht aber auch anders. Die Teilchen dieses Plasmas erzeugen elektrische Ladungen, und diese wirken, auf Tausende Kilometer übertragen, an der Basis der weißen Kugel.«
    »Professor ... Sie ... haben diese Stelle hier gesucht? Sie haben das erwartet, was Sie hier sehen?«
    »Ja. Denn irgendwo mußte die Quelle sein – die Quelle der elektrischen Energie und der Gravitation.«
    »Und die ...? Warum sind sie umgekommen?«
    Der Astronom starrte schweigend in die Tiefe, in der das dunkle Plasma wogte.
    »Professor!«
    »Sehen Sie diese Bewegung. Frei und ungehindert ist sie jetzt; sie dient niemandem mehr. Diese Masse dort unten wird auf und ab fluten, solange die gespeicherten Vorräte reichen ... vielleicht hundert, zweihundert, vielleicht fünfhundert Jahre ...« Seine Stimme war heiser. Ich fragte nicht mehr. Er kniete am äußeren Rande nieder, um besser in die Tiefe blicken zu können; ich tat das gleiche. Das zähe, glänzende Meer stieg immer höher, glitt weich und geschmeidig die

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