Die Attentäterin
ein wirbelnder Strom alphanumerischer Zeichen entweicht dem integrierten Lautsprecher, windet sich in den Knoten und verschwindet. Einen Augenblick später ist der Knoten für sie geöffnet, und sie schießt vorwärts, hinein in das lokale Telekommunikationsgitter von Nordost-Philly.
Sie tätigt selbst einen Anruf, steuert danach direkt die Verzeichnishilfe an und jagt durch eine Abfolge von Knoten, bis sie das LTG des Delaware County und das WCZNK der Sanwa Bank, das Weltweite Computerzugangsnetz für Kunden, erreicht. Wie alle legitimen Kunden nimmt sie die Vordertür, überprüft das Konto, das Hammer ihr genannt hat, und benutzt den geheimen Paßcode, um fünftausend Nuyen auf eines ihrer Konten zu transferieren.
Irgendwo ein paar hundert Kilometer Glasfaserkabel entfernt huschen ihre Finger über die Tasten des Fuchi-6, und ihre Stimme sagt laut: »Okay... Die Nuyen stimmen. Jetzt geht's los...«
Eine unzufriedene männliche Stimme schnauzt irgend etwas Unfreundliches, aber sie hört es nicht, nur den Tonfall, und im Augenblick bedeutet ihr das nichts.
Nächste Station: Das LTG Austin.
Sie lädt den Chinesischen Flieger und führt das Programm aus. Sie hat es zusammen mit dem Deck bei jenem Run in Miami bekommen, dem Run, bei dem ihre Chummer drauf gegangen sind. In seiner ursprünglichen Form war der Flieger mit einer verräterischen Subroutine gekoppelt, die in dem Augenblick, in dem sie mit ihrem Run begann, ein unabhängiges Programm startete. Dieses Programm setzte ihr vermeintliches Ziel davon in Kenntnis, daß sie kam und was ihre Chummer taten, während sie ihr Vorgehen aus der Matrix überwachte. So sind ihre Chummer draufgegangen. Sie wäre beinahe selbst gegrillt worden. Inzwischen hat Neona die geheime Subroutine aus dem Programmcode gelöscht. Der Flieger war die Mühe mehr als wert.
Der Chinesische Flieger ist kein einfaches Programm, und sie muß den Code nach jedem Run umschreiben, aber sie hat noch nichts Schnelleres gesehen - und Schnelligkeit ist das, was sie jetzt braucht.
Und Schnelligkeit bekommt sie auch.
Der Flieger springt an, und plötzlich ist sie ein militärischer Rotalarm der UCAS, der jaulend und mit der Autorität eines Federated-Boeing Black Eagle bei einem Sturzangriff in und durch das Regionale Telekommunikationsgitter von Philly schießt. Zugangsknoten öffnen sich vor ihr. Subprozessoren werden aktiv und räumen ihr andere Datenströme aus dem Weg. Als Signal mit absolutem Vorrang getarnt, trifft sie auf eine IT-T-Rand-Code-Orange-Satellitenverbindung, und Millisekunden später ist sie hindurch und düst durch das regionale Gitter für Austin, Texas.
Hinter ihr wird jeder nur denkbare Alarm ausgelöst, aber mittlerweile ist sie eine gewöhnliche Telekom-Utility, die lediglich die in ihrer Autoexec verankerten Befehle ausführt. Die Rand-Decker, die sich an ihre Fersen geheftet haben, jagen vorbei, ohne ihr einen zweiten Blick zu gönnen.
So subtil arbeitet der Flieger.
In der realen Welt huschen Finger über Tasten. In der virtuellen Realität der Matrix taucht ihr Angel- Icon durch einen Knoten in das LTG von Austin ein.
Sie gleitet an dem MCC-Oktagon und der Sematech- Pyramide vorbei und dann in einen Knoten mit wirbelnden Drehtüren. Die Drehtüren bringen sie zu Doogie's Palace, einem virtuellen Voodoo-Chili-Stand in körnigem Schwarz und Weiß mit einer Glocke auf dem Tresen und einem Neonschild mit der rötlich pulsierenden Aufschrift: Für Bedienung bitte klingeln.
Ihr Master-Persona-Kontrollprogramm ist bereits aktiv. Der goldene Engel spielt auf seiner Keyboard- Gitarre. Ein wirbelnder Strom alphanumerischer Symbole entweicht dem Lautsprecher des Keyboards und schraubt sich nach unten, um die Glocke auf dem Tresen zu drücken.
Die Glocke jault wie eine Alarmsirene.
Doogie, oder vielmehr sein Icon, erscheint aus dem Nichts. Sie nimmt einen bunten Farbwirbel wahr, und dann ist er plötzlich da und sieht aus wie ein zu großer Schoßhund, eine Promenadenmischung, so groß wie ein Mensch, fett, mit langen Schlappohren und einer Neonsonnenbrille. Er sitzt auf einem hohen Hocker hinter dem Tresen.
»Was liegt an, Angel?« sagt Doogie.
»Wo ist der Basar?«
»Dreimal darfst du raten.«
Neona zögert nicht. Um den Basar zu finden, muß man Doogie oder jemand anders kennen, der es weiß, und um die gewünschte Auskunft von Doogie zu bekommen, muß man bei seinem Ratespiel mitmachen, und zwar ernsthaft. Normale Leute mögen das seltsam finden. Neona
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