Die Aufrichtigen (German Edition)
die Übelkeit in ihm hochstieg. Wusste Sophie wirklich, was sie tat? Wie sollte er ihr bloß helfen? Der Pater starrte sie hasserfüllt an. Sie stand mitten im Raum, vor ihr der umgeworfene Schreibtisch, auf dem Boden verstreute Bücher und Papiere, die Waffe auf den riesigen Mann gerichtet, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Leo hörte ein dröhnendes Pochen. Er konnte erst nicht ausmachen, woher das Geräusch kam. Dann aber verstand er, es war das Klopfen seines Herzens! Energisch trat er einen Schritt nach vorn. Sofort hob Sophie die Hand, ohne den Pater aus den Augen zu lassen, damit Leo sich nicht vom Fleck rührte. Doch wenn er jetzt nicht wagte, sich neben seine Freundin zu stellen, so bräuchte er es nie wieder zu versuchen. Also ging er noch zwei Schritte und verschränkte neben ihr die Arme. Sophie lächelte.
»Also, Pater Donatus, da Sie uns partout die Zeit vertreiben wollen, würde ich doch vorschlagen, Sie erzählen uns etwas, anstatt Ihr schönes Zimmer zu demolieren.«
Leo verstand, dass Sophie Zeit gewinnen musste, um die Lage unter Kontrolle zu bringen.
»Gut«, sagte der Pater, »Sie haben gewonnen. Ich werde Ihnen jetzt ein paar Dinge über den Professor erzählen, den Professor und mich, damit Sie mich endlich in Ruhe lassen.«
Langsam ging der Pater rückwärts. Sophie schmiegte den Zeigefinger an den Abzug. Pater Donatus hob vorsichtig die Hände und ließ sich auf seinem Schreibtischstuhl nieder, der hinter ihm stehen geblieben war.
»Ich verspreche Ihnen, keinen weiteren Fluchtversuch zu unternehmen«, sagte er mit abschätzigem Lächeln. »Noch einmal: ich habe den Professor nicht ermordet. Der Junge hat es getan. Er hat wahrscheinlich die Nerven verloren.«
Sophie sagte nichts. Sie ließ die Waffe sinken, behielt sie aber fest in der Hand.
»Er sollte nur nach den Dokumenten suchen, sie an sich nehmen und zu mir bringen, damit wir den Schwindel meines Bruders endlich aufdecken könnten.«
»Wie bitte, der Professor war ihr Bruder?«, fragte Leo. Ihm war, als läge plötzlich etwas Trauriges im Blick des Paters. Unmöglich, dass er sich täuschte.
»Ganz richtig, mein älterer Bruder. Er hat sich auf einen verräterischen Handel mit den Katholiken eingelassen, weil er den Tod seiner Tochter nicht verwunden hat.«
Leo wusste nicht weshalb, aber plötzlich gab alles einen anderen Sinn. Seine Angst war verflogen.
»Mariechen?«, rief er aus.
Zum ersten Mal sah ihn der Pater richtig an.
»Woher wissen Sie das?«
»Wir haben das Fatschenkind gefunden.«
»Halt die Klappe!«, unterbrach ihn Sophie.
Sie wollte nicht gestört werden.
»Sie haben das Fatschenkind gefunden?«, fragte der Pater leise. »Dann wissen Sie sicher auch, dass der Träumer nie mit dem Verlust der Kleinen fertig geworden ist. Sie starb am selben Tag, an dem er exkommuniziert wurde.
»Der Professor ist exkommuniziert worden?«, fragte Leo. »Das war also der Haken bei dem Vergleich!«
Doch der Pater ließ ihm keine Zeit, darüber nachzudenken.
»Er hat sich die Schuld für Mariechens Tod gegeben, und sie hat es auch getan.«
»Seine Frau?«, fragte Leo.
»Kann mir mal jemand erklären, was ihr beiden da macht?«, fuhr Sophie unwillig dazwischen.
»Ja, seine Frau«, bestätigte Donatus. »Er liebte sie abgöttisch und sie gab ihm insgeheim die Schuld am Tod des kleinen Kindes. Das hat er nie verwunden. Seit seine Frau gestorben war, hing er dieser fixen Idee nach, sie alle wiederzusehen, um sich mit ihnen auszusöhnen. Der Vatikan oder besser gesagt die Propaganda Fide, bot dem Professor an, das Interdikt zurückzunehmen, wenn er eine kleine Gefälligkeit zu tun bereit wäre.«
»Bestätigen, dass die gefälschten Fragmente des Ammianus Marcellinus echt sind«, sagte Leo.
»Ich sehe, Sie sind gut informiert. Mit dem Testat des Professors, den alle Welt als den wichtigsten Kirchenkritiker unserer Zeit ansieht, würde niemand wagen, die Fragmente anzuzweifeln, verstehen Sie. Von seinen selbstzerstörenden Schuldgefühlen und dieser manchmal bis ins Lächerliche gehenden Frömmigkeit wußte niemand etwas, nicht einmal seine engsten Vertrauten. Wie hätte man so etwas ausgerechnet bei einem Mann vermuten sollen, der besonders den Katholiken mit seinen brillanten Forschungsergebnissen das Leben schwer gemacht hat.«
»Ach, aber Sie wissen das natürlich! Sie sind wohl so allwissend wie Ihr Chef!«, rief Sophie zornig aus und wies dabei mit den Augen gen Himmel.
Sie hatte den Pater längst
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