Die Aufrichtigen (German Edition)
durchschaut. Er lenkte vom eigentlichen Thema ab, um eine günstige Gelegenheit für einen neuen Angriff abzupassen. Sie musste schnell auf den Punkt kommen, ehe er die Nerven verlor.
»Natürlich weiß ich das. Schließlich war Ernst Spohr mein Bruder!«
Leo verstand plötzlich alles.
»Wie kam es, dass der Professor exkommuniziert wurde, obwohl mit dem Vergleich doch alles geklärt erschien?«, fragte er.
»Mein Bruder war ein brillanter Wissenschaftler, ein großer Historiker. Doch ihm war seine Wissenschaft genug. Er hatte keinerlei Gespür für die eigentliche Bedeutung, für die Wirkung seiner Arbeit. Statt dessen verrichtete er seinen Dienst an einer katholischen Universität, ohne zu erkennen, dass man ihn dort nur hielt, um ihm einen Maulkorb zu verpassen. Er war so mit sich zufrieden, seiner Arbeit, seiner Familie, seinem ganzen peinlichen Leben! Ich habe damals für die Propaganda Fide gearbeitet. Ich konnte nicht anders, ich habe die Sache an mich gezogen und die Kirchenstrafe beantragt. Nie wäre er aus eigenen Stücken von dort weggegangen.«
»Was sagen Sie da?«, brauste Sophie auf, »Sie haben die Strafe beantragt? Wie krank ist das denn!«
»Was verstehen Sie davon?«, entgegnete Pater Donatus kalt. »Die Kirche hat die Jahrhunderte überdauert und den Menschen die wahre Botschaft Gottes geraubt. Ernst Spohr war nicht bereit, seine Arbeit in den Dienst der Wahrheit zu stellen. Sein privates Glück ging ihm vor, politische Arbeit interessierte ihn nicht. Dabei braucht die Kirche der Donatisten Leute wie ihn. Der Katholizismus kann nur aus der Welt vertilgt werden, wenn die Wahrheit ans Licht kommt.«
Leo schüttelte den Kopf.
»Ist das Unrecht, das die Donatisten im Namen der Wahrheit begehen denn weniger Unrecht als das der Katholiken?«, fragte er gereizt. »Haben Sie dafür Ihren Bruder verraten?«
Der Pater lachte.
»Wir sind diejenigen, die verfolgt werden, wir sind diejenigen, die im Untergrund leben. Vergessen Sie das nicht! Was ist da schon die heile Welt meines Bruders, wenn es darum geht, den wahren Glauben in die Welt zurück zu bringen.«
»Aber der Professor hat sich den Donatisten nicht angeschlossen, nicht wahr? Ihre Intrige blieb erfolglos«, sagte Sophie.
»Da haben Sie leider Recht. Allerdings weihte er sein Leben dem Kampf gegen die Lügen der Kirche. Damit hat er uns, freilich ohne es zu wollen, einen unschätzbaren Dienst erwiesen.«
»Bis er das falsche Gutachten über die Fragmente des Ammianus geschrieben hat«, bemerkte Sophie trocken. »Er musste sterben, weil er nicht widerrufen wollte. Das kenne ich irgendwoher. Du nicht auch, Leo?«
»Ein Mann muss sich entscheiden, was er in seinem Leben zu leisten hat, sonst bleibt er bedeutungslos«, unterbrach sie der Pater. »Was hier geschieht, entzieht sich der Gerechtigkeit der Welt!«
»So ein Spruch hätte auch von Dr. Albertz stammen können!«
»Ich verstehe nicht, warum Dr. Albertz sich auf den Vergleich eingelassen hat, ohne auch die Kirchenstrafe abzuwenden«, sagte Leo.
»Seien Sie sicher, Dr. Albertz war nicht schwer zu überzeugen«, sagte Pater Donatus. »So war das Geschäft, er bekommt seinen Vergleich und eine exorbitante Vergleichssumme, die Propaganda Fide bekommt ihre Kirchenstrafe. Er kannte den Deal. Er hat dem Professor den Vergleich trotzdem schmackhaft gemacht und sich von der Kirche ein großzügiges Honorar zahlen lassen. Außerdem gewann er damals die Kirche als zahlungskräftigen Auftraggeber.«
Leo wich einen Schritt zurück. Noch bis zuletzt hatte er gehofft, irgend etwas Großes oder Ehrenhaftes an Dr. Albertz zu finden. Er senkte den Blick.
»Sie haben diesen Jungen, den Sie Maiorinus nennen, ins Haus des Professors geschickt, damit er dort Beweismittel für die Fälschung des Gutachtens stiehlt«, sagte Sophie. »Er war aber schon tot, als der Junge ins Haus kam. Sie haben ihn nur da rein geschickt, um den Verdacht auf ihn zu lenken.«
»Sie irren sich!«, rief der Pater. »Ich habe meinen Bruder nicht getötet, ich habe ihn geliebt! Ich habe ihn geliebt wie kein anderer! Noch am Palmsonntag war ich bei ihm, um ihn zu retten! Nun gut, es gab Streit. Ich bin ihm an die Gurgel. Aber ich habe doch von ihm abgelassen! Er versprach, sich die Sache zu überlegen und nahm sogar an unserem Herrenmahl am Montag teil. Statt der Beweise für das falsche Gutachten aber hat er mir nur dieses alte Buch gebracht.«
»Celsus wahres Wort!«, unterbrach ihn Leo.
Pater Donatus nickte.
»Ganz
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