Die Aufrichtigen (German Edition)
Haufen fährt und mir den ominösen Umschlag stiehlt, und warum er Mittwoch Nacht im Haus des Professors herumschnüffelt?«
»Na und?«
»Ich weiß manchmal echt nicht, was mit dir los ist!«, brauste Leo auf.
Die trotzige Art seiner Freundin machte ihn wütend.
»Du marschierst immer mit dem Holzhammer herum! Was willst du damit erreichen?«
Sie sah ihn mit offenem Mund an. An ihren Schläfen traten die Adern hervor.
»Aber bitte, wenn du meinst«, fügte Leo schon weniger angriffslustig hinzu, »dann gehen wir hin und verhaften den Kerl.«
»Leo, warte!«
Zu seiner Überraschung klang ihre Stimme traurig. Er strich ihr über die Schulter.
»Tut mir leid«, sagte er, »ich wollte dich nicht verletzen. Du machst deine Sache wirklich gut und ich wäre froh, wenn ich nur die Hälfte deiner Courage hätte.«
»Lass den Quatsch! Du hast keine Ahnung, wie das ist, wenn man dauernd die Beste sein muss. Es gibt so viele Regeln, an die ich mich halten muss. Vorschriften, Dienstanweisungen, Hierarchien. Ich möchte manchmal schreien deswegen. Ein Leben nach dem Lehrbuch! Die ganze Ausbildung dreht sich vor allem um irgendwelchen bürokratischen Kram und man lernt, niemandem auf die Füße zu treten. Ich habe mir das alles anders vorgestellt. Ich sehe ja ein, dass die Polizeiarbeit mit den Krimis im Fernsehen nichts zu tun hat, aber man hindert uns daran, unserer Intuition zu folgen. Das kann doch nicht richtig sein.«
»Schon gut, Sophie. Ich habe keine Ahnung von deiner Arbeit. Ich schlittere nur von einem Fettnäpfchen ins andere und wäre froh, dieser Julia Spohr nie begegnet zu sein.«
»Nein, Leo, du schlägst dich echt nicht schlecht und das sage ich nicht nur, weil ich in dich verliebt bin.«
»Ist das wahr?«
»Sei kein Esel! Glaubst du, dass ich einfach so mit einem Typen ins Bett gehe?«
»Aber Sophie, das ist ja —«
Er konnte den Satz nicht zu Ende sprechen, weil Sophie ihn unterbrach.
»Du hast schon Recht, mit dem Holzhammer, meine ich. Polizisten müssen cool sein, verstehst du, sie haben die Sache im Griff und lassen sich nicht unterkriegen. Das passt genau zu mir, denn so bin ich erzogen worden. Immer stark sein, immer obenauf. Ich bin nicht gut darin, meine Gefühle zu zeigen, mehr noch, ich habe nicht einmal den Mut, mich darauf zu verlassen. Im Grunde sind wir uns gar nicht so unähnlich, nur dass du nicht immer den großen Macker spielst, wenn dich was aus der Bahn wirft. Glaub‘ mir, ich wäre gern ein wenig wie du. Statt dessen benehme ich mich, wie der Elefant im Porzellanladen.«
»Das ist nicht dein Ernst!«, protestierte Leo. »Du hättest dir den Umschlag bestimmt nicht einfach wegnehmen lassen und du hättest auch deinen Job niemals verloren.«
»Wenn mich weiterhin alle nur klein halten, dann mache ich das nicht mehr lange! Wer weiß, vielleicht nimmt mich ja ein Prinz mit auf sein Schloss.«
Sie lachte auf.
»Nein, Unsinn! Ich brauche diesen Job. Was bin ich denn noch wert, wenn ich die Ausbildung hinschmeiße?«
»Jetzt hör aber auf! Was einer wert ist, hat doch nichts mit seiner Arbeit zu tun!«
»So, mit was denn sonst? Du solltest mal hören, was meine Mutter mir erzählen würde, wenn ich das nicht packe.«
»Was kann ich dafür, wenn man dir so einen Unsinn eingeredet hat? Für mich bist du einzigartig, ohne Einschränkung. Und selbst wenn dich wirklich alle verlassen würden, wäre ich immer noch da und würde dich anhimmeln!«
Sie schmiegte sich an ihn. Leo wurde heiß! War nun der Moment gekommen? Oder würde es nicht gerade jetzt platt und abgedroschen klingen?
»Du bist süß, Leo, aber so etwas gibt es nur im Märchen.«
Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
In diesem Augenblick meldete Leos Handy eine Nachricht.
»Eine SMS von Julia. Sie ist auf dem Weg hierher, weil sie im Grab ihrer Schwester einen Schließfachschlüssel vom Bahnhof in Mainz gefunden hat. Außerdem war sie am Donnerstag bei der Ligabank. Ihr Vater hat dort ein Konto auf dem 1981 die Vergleichssumme einbezahlt worden ist. Ich habe dir doch davon erzählt. Spohr scheint das Geld nicht angerührt zu haben. Aus den fünfhunderttausend Mark sind in den letzten dreißig Jahren fast fünfhundertsechzig tausend Euro geworden!«
»Das gibt‘s doch gar nicht! Zeig her!«
Sophie nahm Leo das Handy aus der Hand und las selbst.
»Das gibt‘s doch gar nicht,« wiederholte sie. »Aber warum hat er so viel Geld nicht angerührt?«
»Keine Ahnung. Glaubst du, dass es mit der Sache zu tun
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